Landtagswahl Bayern.. die CSU im "Sinkflug"?

06. Oktober 2018

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Der steile Abstieg der CSU

Bayern In der Führungsriege der Partei herrscht blankes Entsetzen, die Wahlkämpfer vor Ort hören viel Kritik von den Bürgern. Es bahnt sich ein historisches Debakel an. Die Hauptverantwortlichen: Horst Seehofer und Markus Söder. Von Patrick Guyton


Unter den Lauben“ ist der Marktplatz von Ottobrunn. Hier steht Volker Rhein, Vorsitzender des CSU-Ortsverbandes, am kleinen Info-Stand seiner Partei und versucht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Ihnen eine Tüte in die Hand zu drücken mit Wahlprogramm und Werbung für den Direktkandidaten Ernst Weidenbusch, der den Stimmkreis München-Land-Nord im bayerischen Landtag vertritt. Oder wenigstens einen CSU-Kugelschreiber.


Eine Frau kommt vorbei, sie zieht ihren vollen Einkaufstrolley neben sich her. „Ihr seid’s ja wirklich nett“, sagt sie zu Rhein und den drei anderen Wahlkämpfern. Man kennt sich auf dem Markt. „Aber eure ganzen Oberen machen nur Mist.“ Rhein versucht, etwas entgegenzusetzen: „Sicherlich, ich gebe Ihnen ja Recht. Aber bei der Wahl jetzt geht es um Bayern, und Bayern steht gut da.“ An der Frau perlt das völlig ab: „Wieso muss man die Kanzlerin immer wieder so fertig machen?“


Eine Woche noch, dann wird im Freistaat gewählt: CSU-Ministerpräsident Markus Söder muss die schlimmste Schlappe seiner Partei und seiner Karriere fürchten – und schiebt umso kräftiger Schuld nach Berlin ab. Nach der jüngsten Infratest-dimap-Umfrage vom Donnerstag liegt die CSU nur noch bei 33 Prozent, (die Forschungsgruppe Wahlen sah sie gestern bei 35 Prozent). Die Zahlen, sagt Söder, seien „unglaublich geprägt durch die Berliner Politik“. Interner Streit schade immer.


Doch auch der Ministerpräsident selbst hat massive Fehler gemacht: Nach seiner Amtsübernahme im März setzte er einen noch härteren Kurs in der Füchtlingspolitik durch, um der AfD Stimmen abzujagen. Giftig sprach er vom „Asyltourismus“ und kündigte an, eigene bayerische Abschiebeflüge zu organisieren, was bis heute nicht geschehen ist. Dieser Kurs kam bei vielen Bürgern nicht gut an, die „Ausgehetzt“-Demo in München etwa mit bis zu 50 000 Teilnehmern war ein deutliches Signal. Es folgte ein zu durchsichtiger Schwenk: Jetzt sagt Söder wenig bis nichts mehr über Flüchtlinge, attackiert die AfD massiv und versucht, die Stimmung auf das prächtige Wohlfühl-Bayern zu lenken.


Doch angesichts der stetig sinkenden Umfragewerte herrscht in der CSU-Führungsriege längst blankes Entsetzen. Rechnerisch wäre nach der Infratest-Umfrage nun sogar eine Vierer-Koalition ohne CSU und AfD möglich – unter der Führung der Grünen und mit der SPD, den Freien Wählern und der FDP. In der Praxis allerdings wäre ein solches Bündnis kaum möglich, zu unterschiedlich sind die Ansichten der Parteien in vielen Politikfeldern.


Es ist Straßenwahlkampf in dramatischen Zeiten für die CSU, manche würden auch sagen: in katastrophalen. Eine Götterdämmerung für die Christsozialen, die bayerische Quasi-Staatspartei seit 60 Jahren. Immer und immer wieder hört sich Volker Rhein in Ottobrunn die Kritik der Bürger in verschiedensten Variationen an. Die Maaßen-Affäre, Horst Seehofers Spruch über die 69 abgeschobenen Flüchtlinge zum 69. Geburtstag. Sein absonderlicher nächtlicher Rücktritt vom Rücktritt, der Satz über die Migration als „Mutter aller Probleme“.


„Es ist Wahnsinn“, sagt Rhein, ein 55 Jahre alter, hoch gewachsener Mann, der bei einer Versicherung arbeitet. Seit mehr als 25 Jahren ist er CSU-Mitglied, seit 2010 Vorsitzender des Ortsverbands. Ottobrunn ist eine 21 000-Einwohner-Gemeinde ein paar Kilometer südöstlich von München. Nicht mehr Stadt, noch nicht Land. Aus vielen anderen Orten weiß er, dass die Stimmung ganz ähnlich ist. Kein Vergleich zum Landtagswahlkampf 2013, als die CSU mit 47,7 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit der Mandate erreichen konnte.


Dass in Bayern die CSU regiert und an allen Schalthebeln der Macht ihre Leute sitzen, das war bisher so sicher, wie die Tatsache, dass die Alpen stehen und der Chiemsee nicht ausgelaufen ist. Über viele Jahrzehnte hinweg wurde mitleidig bis spöttisch über das Schicksal der machtlosen Opposition geschrieben, die im Landtag folgenlos Antrag über Antrag einbringt und eine kritische Rede nach der anderen hält.


Dieses „alte“ Bayern besteht aus Zwiebelturm-Kirchen, Wirtshaus-Stammtischen und einem weiß-blauen Himmel, den man auch der CSU zu verdanken hat. Franz Josef Strauß, der vor 30 Jahren gestorben ist, wird noch immer bei jeder Gelegenheit beschworen. Die Mehrheit der Bayern verehrte FJS, eine Minderheit sah ihn als einen in alle möglichen Amigo-Geschäfte verwickelten Viertel- bis Halbverbrecher an. „Hund sans scho“, lautete ein Spruch über die CSU-Nomenklatura, der Bewunderung ausdrückte und keine Kritik. Edmund Stoiber holte bei der Landtagswahl vor 15 Jahren noch 60,7 Prozent.


Nur noch Negativ-Schagzeilen


Alles Vergangenheit, alles vorbei? Seit einiger Zeit sorgt die CSU fast nur noch für Negativ-Schlagzeilen: Merkel-Bashing ohne Unterlass, interner Machtkampf zwischen Markus Söder und Horst Seehofer bis aufs Blut, Zickzack-Kurs gegenüber der AfD. Und seit dem Frühjahr: der Weiterhin-Parteivorsitzende Horst Seehofer als Innenminister in Berlin. Volker Rhein vom Ortsverband Ottobrunn sagt es ganz deutlich: „Der ist fällig. Er hätte schon nach der Bundestagswahl von seinen Ämtern zurücktreten müssen.“ Der CSUler Erwin Mühlbauer, ebenfalls als Ottobrunner Wahlkämpfer auf der Straße, findet: „Manche Alten sind auf ihrem Sessel einzementiert.“ Der eine oder andere Beobachter sieht in Seehofers Verhalten einen persönlichen Rachefeldzug gegen seinen Parteifeind Markus Söder. Nach dem Motto: Wenn wir untergehen, dann zusammen.


Seehofer hat sich in früherer Zeit zweifellos große Verdienste um die CSU erworben, darin ist sich die Parteibasis einig. Er holte den Christsozialen 2013 die absolute Mehrheit zurück, nachdem die 43,4 Prozent des Duos Günter Beckstein/Erwin Huber im Jahr 2008 als vernichtende Niederlage angesehen worden waren. Seehofer war geschätzt als humorvoll-ironischer Politiker mit Standpunkten. Heute kann keiner erklären, was mit ihm los ist. Bei den wenigen Wahlkampfauftritten, die er überhaupt noch absolviert, präsentiert er sich als alter Mann, der voller Selbstmitleid darüber klagt, welches Unrecht ihm ständig widerfährt.


Dass es in der Partei-Anhängerschaft heftig bröckelt, zeigt sich an einem Mann wie Josef Mayerhofer. Der Landwirt aus der Nähe von Altötting war lange kommunalpolitisch für die Christsozialen engagiert. Nun ist er zu den Grünen gewechselt. Der Austritt erfolgte vor der Bundestageswahl – „weil es da so gegen die Ausländer ging“, sagt er. „Da wollte ich kein Mitglied mehr sein.“ Die Grünen würden seine Werte besser vertreten. „Die sind eine normale Partei geworden.“ Vor sein Haus im Ort Haiming hat er ein grünes Wahlplakat aufgehängt. „Das stört hier keinen“, meint Mayerhofer. „Vor 15 oder 20 Jahren wäre das ein Skandal gewesen.“


Einen Teil der Wähler verliert die CSU auch an die AfD, die laut Infratest-Umfrage in Bayern derzeit bei 10 Prozent steht. „Als bayerischer Mensch hatte man sich mit der CSU zu identifizieren“, erinnert sich Karl Keller, ein 64 Jahre alter Landwirt aus dem Allgäu. Doch jetzt meint er: „Das ist so ein feiger Haufen.“ Vor zwei Jahren ist er zur AfD gewechselt, er kandidiert nun für den Landtag. Keller stammt aus Jengen nahe Kaufbeuren, Ostallgäu. Er hat fünf Kinder und fünf Enkel, der Hof wurde vor 29 Jahren auf Bio umgestellt. Als junger Mann war er bei der Feuerwehr und sang im Kirchenchor, da kam der Bürgermeister, natürlich CSU, auf ihn zu und sagte: „Du musst in die Partei gehen.“ Er hat es getan, wurde Vize-Ortsvorsitzender und Delegierter bei der Kreis-CSU. „Ich bin da hingefahren und habe gemacht, was gesagt wurde.“


Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung 2015 ließ ihn mit seiner Partei brechen. Er meint: „Wir zahlen und sollen das Maul halten.“ Nach München fuhr er „heimlich“, wie er sagt, zu einer AfD-Veranstaltung mit Frauke Petry im Hofbräukeller. Das gefiel ihm. Dann baute er den AfD-Kreisverband auf, jetzt haben sie 57 Mitglieder. Die CSU sieht er in der Zwickmühle: „Man kann nicht beides machen: mit Merkel regieren und sie kritisieren.“ Politisch ordnet sich Karl Keller als „konservativ, ein bisschen strammer rechts“ ein. Auch der Mann ist nun also weg.


In Ottobrunn sind sie noch da beim Wahlkampf. Der Bürgermeister kommt zur Unterstützung, Thomas Loderer, 49, CSU. „Wir spüren eine totale Unsicherheit“, meint er, gibt aber zu bedenken: „Wer vom Ende der Staatspartei redet, der nutzt uns eigentlich.“ Denn: „Die Bayern wollen keine unsicheren, chaotischen Zustände.“ Der Ortsverbandsvorsitzende Volker Rhein will einem Ehepaar Wahlmaterial überreichen. „Danke, wir haben schon Briefwahl gemacht“, sagt der Mann. „Und die CSU gewählt.“ Parteifreund Mühlbauer meint trocken: „Da sind Sie aber die Ausnahme.“

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