Österreich hat gewählt... heisst der neue Kanzler KURZ ?

17. Oktober 2017

Lesen SIE bitte die NUZ..

Kurz vor der Wende
Porträt Sie nennen ihn „Wunderwuzzi“. Das ist Österreichisch für Tausendsassa. Und der Wunderwuzzi hat geliefert. Sebastian Kurz schickt sich an, mit 31 Jahren Bundeskanzler zu werden. Er hat seinen Wählern viel versprochen. Zunächst aber muss er ein anderes Problem lösen

Von Mariele Schulze Berndt

Wien Wenn er angegriffen wird, verhärten sich seine Gesichtszüge. Dann presst er die Lippen aufeinander, die Augen werden klein und schauen in die Ferne. In den vielen Fernsehduellen, die hinter Sebastian Kurz liegen, gab es dutzende solcher Situationen. Zu Beginn des Wahlkampfes versuchte er noch, seine Gegner zu überzeugen und für sich zu gewinnen. Gegen Ende ließ er sie – wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen – einfach reden. Dass Kritik ihn nicht kalt lässt, blieb aufmerksamen Zuschauern nicht verborgen. Alte Granden seiner konservativen ÖVP, denen der Erfolg des Jungstars ohnehin suspekt ist, fragten sich halblaut, wie krisenfest der 31-Jährige wohl sein werde. Würde er als jüngster Regierungschef in internationalen Konflikten bestehen? Würde er es schaffen, im Rahmen der 2018 bevorstehenden österreichischen EU-Ratspräsidentschaft Fortschritte im Sinne seines Landes zu erzielen?

Beide Fragen lassen sich noch nicht beantworten. Aber inzwischen hat Kurz die Wahl gewonnen und der ÖVP zu jahrelang nicht erlebten Höhenflügen verholfen. Sie nennen ihn „Wunderwuzzi“. Das ist das österreichische Wort für Tausendsassa. Und der Wunderwuzzi hat geliefert. Die Bedenken sind wie weggeblasen. Zu hören ist jetzt vor allem uneingeschränkte Verehrung.

„Sebastian Kurz hat die ÖVP aus dem Tal der Tränen herausgeführt“, sagt etwa der steirische Landeschef Hermann Schützenhöfer, der sein Land zusammen mit der sozialdemokratischen SPÖ regiert. „Er hat jetzt das Sagen, aber er ist gescheit genug, seine großen Entscheidungen mit denen zu besprechen, die ihn auch in schweren Tagen mittragen.“ In der Steiermark fuhr die rechtspopulistische FPÖ jahrelang die besten Wahlergebnisse ein. Nun hat Kurz dort elf Prozentpunkte hinzugewonnen, die ÖVP liegt in dem Bundesland wieder vorn und Schützenhöfer steht stärker hinter ihm denn je.

Aber wer wird derjenige sein, der Kurz als Koalitionspartner mitträgt? Die SPÖ, nun als Junior, wofür Schützenhöfer plädiert? Jene SPÖ, von der sich die Konservativen im Zorn getrennt haben. Noch-Kanzler Christian Kern sagt: „Wir wollen Verantwortung übernehmen, in welcher Form, wird sich weisen.“ Heißt auch: Er will selbst ein Bündnis mit den Populisten ausloten. Dann könnte er Kanzler bleiben.

Zunächst liegt der Ball aber bei Sebastian Kurz. In seinem Fall liegt eine Koalition mit der FPÖ deutlich näher; inhaltlich trennt die Parteien wenig. Und wem die „soften“ Argumente wichtig sind, der hat am Wahlsonntag auch Futter bekommen, als Kurz-Freundin Susanne Thier, eine 30-jährige Wirtschaftsexpertin, und Philippa Strache, 29, Frau von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, wie beste Freundinnen vor den Kameras posierten. Am Tag danach legt ein um Gelassenheit bemühter Sebastian Kurz vor allem auf eines wert: Alles ist möglich. Schwarz-Blau, Schwarz-Rot, sogar eine Minderheitsregierung. Wenn keiner mit ihm wolle, dann werde er sich seine Mehrheiten punktuell suchen. Der Poker hat begonnen.

So oder so: Der neue starke Mann heißt Sebastian Kurz. Er ist derjenige, von dem sich die Österreicher Veränderungen erhoffen, ja in manchen Dingen eine politische Wende. Das Neue, das Unkonventionelle durchzieht seine ganze Entwicklung. Schon als Sechzehnjähriger versuchte Kurz, sich in der Jungen Volkspartei zu engagieren – und scheiterte da noch an der Lethargie der Wiener Funktionäre. Als braver Sohn eines Ingenieurs und einer Lehrerin aus dem Wiener Bezirk Meidling, wo er heute mit seiner Freundin wohnt, entwickelte er in der Schule Kinderbetreuung als Geschäftsidee. Als Jurastudent wurde er Chef der Jungen Volkspartei in Wien. Im Wahlkampf 2010 tourte er mit einem „Geilomobil“ und halbnackten Mädchen durch die Stadt. Das brachte ihm Aufmerksamkeit.

FPÖ-Mann Strache sagte kürzlich: „Manchmal habe ich das Gefühl, er wollte eigentlich nur Klassensprecher werden, und dann ist das Ganze eskaliert.“ Kurz schuf als Chef der Jungen Volkspartei ein Netzwerk, das in alle ÖVP-Ministerien und -Gremien reichte, und als begabter Kommunikator gelang es ihm, sich zur letzten Hoffnung der dahinsiechenden ÖVP aufzubauen. Interne Papiere belegen, dass er seit Anfang 2016 den Posten des Parteichefs anstrebte und am Stuhl des damaligen Amtsinhabers Reinhold Mitterlehner sägte. Am 10. Mai 2017 gab dieser auf. Und am 14. Mai beendete Kurz die Koalition mit der SPÖ. Das ist die eine Schiene.

Die andere ist seine Karriere im Außenministerium. 2011 machte der damalige Parteichef und Außenminister Michael Spindelegger den erst 24-jährigen Kurz zum Integrationsstaatssekretär, zuständig auch für Flüchtlinge. Bis zum Ministerposten 2013 war es dann nicht mehr weit. Er habe schon früher zu Flüchtlingen einen „realitätsnahen Zugang statt eines romantischen“ gehabt, „aber nie einen ablehnenden“, sagte Kurz einmal. Seine Eltern, auch das muss man wissen, waren während der Bosnienkrise in der Flüchtlingsbetreuung aktiv.

Die Flüchtlingsfrage, das bestätigen die Meinungsforscher, hat ihm den Wahlsieg garantiert. Kurz’ Taktik war es, langjährige FPÖ-Forderungen zu diesem Thema in weichgespülter Form und ohne Schaum vor dem Mund zu transportieren. Die frühere österreichische Außenministerin Ursula Plassnik, inzwischen Botschafterin in der Schweiz, findet: „Er ist ein Symbol der Erneuerung. Nicht unbedingt rechts, sondern eher populistisch.“

Das zeigt auch sein rascher Meinungswechsel in der Flüchtlingspolitik. Noch im September 2015 war Kurz, ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, ein Anhänger der Willkommenskultur gewesen. Im Februar zuvor hatte er ein auch in Deutschland gelobtes Islamgesetz durchs Parlament gebracht, das die Finanzierung österreichischer Moscheen durch die türkische Religionsbehörde stoppen sollte. Dass Kurz damals sagte: „Der Islam gehört zu Österreich“, hielt ihm FPÖ-Chef Strache noch in diesem Wahlkampf vor. Von 2016 an trieben die veränderte Stimmung in der Gesellschaft und das Vorbild Ungarn den Minister immer weiter in flüchtlingskritische Positionen. Er brüstete sich damit, die Westbalkanroute geschlossen zu haben. Und er kritisierte das Türkei-Abkommen der EU. Immer stärker grenzte er sich in dieser Frage von Merkel ab.

Die Flüchtlingspolitik dominierte auch seine Wahlkampagne. Nach der Westbalkanroute will er nun die Mittelmeerroute schließen. Flüchtlinge aus Afrika sollen außerhalb der EU in „Rescue Centern“ untergebracht werden. Eine zweite Forderung ist der Stopp der Zuwanderung in die österreichischen Sozialsysteme. Darunter ist zu verstehen, dass viele Flüchtlinge und anerkannte Asylbewerber Leistungen aus Steuergeldern beziehen. Sie sind je nach Bundesland unterschiedlich hoch. Kurz will überall drastisch kürzen.

Hinzu kommt: Für in Österreich arbeitende EU-Ausländer, deren Kinder nicht in Österreich leben, soll das Kindergeld auf das Niveau im Heimatland gesenkt werden. Sozialhilfe sollen EU-Ausländer nur bekommen, wenn sie fünf Jahre in Österreich gelebt und gearbeitet haben. Um dies zu realisieren, müsste Kurz allerdings EU-Gesetze auf den Kopf stellen.

Sebastian Kurz hat viel versprochen, vor allem bei innenpolitischen Themen. Entsprechend viel erwarten die Österreicher von ihm. „Wenn er jetzt die angekündigten Veränderungen nicht durchsetzt, ist er auch sehr schnell wieder weg“, sagt einer seiner Anhänger. „Wir haben ihn gewählt, weil wir wollen, dass Österreich sich ändert.“

Das will auch der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch. Von ihm und anderen Wirtschaftsvertretern lässt sich Kurz häufig beraten. Ihre Forderung nach Steuerentlastung, Entbürokratisierung und flexibleren Arbeitszeiten macht sich Kurz zu eigen. Arbeitsplätze zu schaffen, sei der Kern, mit dem sich die Regierung zu beschäftigen habe, sagt Kapsch. Außerdem müssten die Staatsfinanzen saniert werden. Dazu sei eine Verfassungs- und Verwaltungsreform nötig. „Sonst werden wir die nötigen Einsparungen nicht schaffen“, sagt der Wirtschaftsmann.

Mit den Sozialdemokraten wäre dies kaum zu realisieren. Die Programme von ÖVP und FPÖ wiederum stimmen in vielen Wirtschaftsfragen überein. „Fast wortident“ nennt der noch amtierende SPÖ-Kanzler Christian Kern sie gestern. Trotzdem will dieser auch Gespräche mit Kurz über eine Regierungsbeteiligung führen – obwohl er selbst mit einer schwarz-blauen Einigung rechnet. Die Verhandlungen dürften sich hinziehen. Ob Kurz noch in diesem Jahr ins Kanzleramt einziehen wird, ist unklar.

Allen Einwänden gegen eine Koalition mit den Rechtspopulisten begegnet das Umfeld von Sebastian Kurz mit dem Hinweis, er werde extreme Positionen nicht akzeptieren und die Radikalen in ihre Schranken weisen. Sollte es tatsächlich zum Bündnis kommen, beansprucht die FPÖ das Amt des Außenministers für ihren Ex-Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer. Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen wird das aber nicht mitmachen, er will nur einen proeuropäischen Außenminister vereidigen. Das Innen- und Verteidigungsministerium könnte die FPÖ jedoch bekommen, wird gemunkelt.

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