Rentenpolitik... hier für Mütter.... Sozialpolitik.. der grossen Koalition... Programme...

15. September 2017

Lesen SIE bitte die NUZ....
 

Verrät unser Rentensystem die Mütter?
Interview Die Autorin Kristina Vaillant ist ein Sprachrohr der „Babyboomer“-Generation. Sie warnt vor Altersarmut, die viele Frauen der geburtenstarken Jahrgänge erwarte. Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Deutschland ist noch lange nicht am Ziel

Frau Vaillant, sie sind 1964 geboren und gehören zur Generation der Babyboomer. Ihnen hätten als gut ausgebildete Frau auf dem Arbeitsmarkt alle Türen offen stehen sollen. Warum war das trotzdem nicht der Fall?

Kristina Vaillant: Das wäre schön gewesen. Aber das, was heute normal ist – befristete Verträge, Teilzeit, Leiharbeit – das hat in den achtzigern und neunziger Jahren begonnen. Das Nächste war, dass es keine flächendeckende Kinderbetreuung gab. Im Westen Deutschlands hatte man häufig gar nicht die Möglichkeit, Kinder betreuen zu lassen und wenn, dann nur bis mittags. Da kam höchstens eine Teilzeitbeschäftigung in Frage. Frauen mit kleinen Kindern waren am Arbeitsmarkt, insbesondere in akademischen Berufen einfach nicht erwünscht. Arbeitgeber sind davon ausgegangen, dass Mütter mit kleinen Kindern nicht leistungsfähig sind. Das ist natürlich vollkommener Quatsch.

Haben es Frauen heute leichter?

Vaillant: Bis heute bleiben jungen Frauen verantwortungsvolle Positionen verwehrt, weil man erwartet, dass sie demnächst Kinder bekommen. Aber es hat sich auch vieles getan: das Recht auf Kinderbetreuung zum Beispiel. Außerdem haben wir das Elterngeld, früher gab es das in der Form nicht. Auch sind Frauen mit kleinen Kindern präsenter am Arbeitsplatz – es gibt viel mehr weibliche Vorbilder. Aber wir sind noch lange, lange nicht am Ziel.

Trotz der Fortschritte sind Frauen heute stärker von Altersarmut gefährdet als vor 50 Jahren. Obwohl sie heutzutage viel mehr in die Kassen einzahlen, oder?

Vaillant: Ja, das kann man so sagen. Das hat mit der Rentenpolitik zu tun, die immer noch davon ausgeht, dass, wenn Frauen niedrige Renten haben, sie einen Ehemann an der Seite haben, der dafür sorgt, dass das Einkommen reicht. Auf der anderen Seite haben wir mittlerweile einen riesigen Niedriglohnsektor, den gab es vor 30 Jahren nicht. Hier arbeiten überproportional viele Frauen. Und diese niedrigen Einkommen führen unweigerlich zu Mini-Renten. Hinzukommt, dass in den letzten 20 Jahren das Rentenniveau kontinuierlich gesunken ist. Es wird auf einem Tiefpunkt von 43 Prozent angekommen sein, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Ein Drittel dieser Frauengeneration erwartet maximal 600 Euro Rente. Das ist erschreckend, weil sie zu 80 Prozent berufstätig und sehr gut ausgebildet ist. Das ist ein Skandal.

Warum passiert dann nichts? Akzeptiert die Gesellschaft diesen Missstand?

Vaillant: Offensichtlich sind die niedrigen Renten von Frauen kein Thema, das auf der politischen Agenda oben steht. Bis heute denken manche: Der Mann sorgt schon dafür, dass es genügend Geld im Haushalt gibt. Das traut sich heute kein Politiker mehr zu sagen, aber implizit liegt diese Vorstellung der Rentenpolitik noch immer zugrunde. Regierungsparteien und Gewerkschaften schlagen vor, das Problem am Arbeitsmarkt zu lösen. Frauen sollen genauso viel verdienen wie Männer. Das finde ich natürlich auch richtig, aber es wird noch lange dauern, bis das eingelöst wird. Wir können nicht per Gesetz beschließen, dass Frauen und Männer gleich viel verdienen. Wir könnten aber per Gesetz beschließen, dass jeder Anspruch auf eine Mindestrente hat: Wie in den Niederlanden - 1000 Euro, und nur der zweite Teil der Rente ist einkommensabhängig. Im Moment gibt es dafür keine politische Mehrheit.

Dass ein Mann keine Altersvorsorge ist, wird Frauen seit Jahren eingebläut. Gerade, was Rentenansprüche angeht, wird von Frauen das Gleiche erwartet wie von Männern. Das klingt zwar nach einem Schritt in Richtung Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt. Aber warum ist diese Entwicklung trotzdem negativ?

Vaillant: Die Erwartung, dass Frauen für sich selbst sorgen sollen, ist nicht verkehrt. Die meisten Frauen denken heute auch so. Aber die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Es sind eben die Frauen, die die Kinder bekommen, und sie haben dadurch auch noch heute schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und damit deutlich schlechtere Chancen, ein Alterseinkommen zu erwirtschaften. Da müsste auch die Rentenversicherung noch stärker dafür sorgen, dass das „Risiko“, schwanger zu werden und für Kinder zu sorgen, ausgeglichen wird.

Wo genau ging diese Entwicklung der sich selbst versorgenden Frau hin zur drohenden Altersarmut schief?

Vaillant: Das eine ist die atypische Beschäftigung: Teilzeit, befristete Stellen, Minijobs – diese Jobs suchen sich Frauen nicht unbedingt aus. Das Volumen der Arbeitsstunden in Deutschland ist seit den neunziger Jahren nicht gewachsen. Das heißt, immer mehr Frauen sind berufstätig – mit über 70 Prozent Erwerbsquote liegen wir in Europa heute mit an der Spitze. Aber immer mehr teilen sich einen gleich groß bleibenden Kuchen an Arbeitsstunden. Und es sind dann vor allem die Frauen mit Kindern, die in Teilzeit arbeiten. Der andere Grund ist, dass das Rentenrecht nicht angepasst wurde. Was ich bekomme, bemisst sich konsequent an dem, was ich verdient habe.

Diese Frauen leisten in der restlichen Zeit meist zu Hause unbezahlte Arbeit, die wird aber nicht angerechnet.

Vaillant: Genau, das ist ein Problem, weil Frauen zu Hause fast doppelt so viel arbeiten, sich um Kinder oder kranke Angehörige kümmern wie Männer. Auch das führt dann zu diesem Risiko der Altersarmut.

Warum sind Sie dann kein Freund der Mütterrente? Sie schreiben in ihrem Buch sogar: „Das ist die Fortsetzung des Verrats an der Lebensleistung von Frauen.“

Vaillant: Die Mütterrente ist an sich eine gute Idee. Frauen, deren Kinder 1992 oder später geboren wurden, bekommen drei Entgeltpunkte auf dem Rentenkonto gutgeschrieben, das entspricht aktuell etwa 90 Euro Rente im Monat. Aber das kompensiert in keiner Weise die Einbußen, die Frauen dadurch erleiden, dass sie Kinder bekommen. Eine Rente erwirbt eine Frau damit nicht, sie müsste allein sieben Kinder haben, um die Renten-Lücke zu den Männern zu schließen. „Mütterrente“ ist ein irreführender Begriff. Aktuell bekommen Rentnerinnen nur etwa halb so viel Rente wie Männer - trotz Mütterrente. Sieben Millionen Rentnerinnen bekommen maximal 750 Euro Rente. Das ist etwa die Höhe der Grundsicherung.

Was raten Sie dann jungen Berufseinsteigerinnen, die Familie und Beruf vereinen wollen? Es können ja nicht alle in die Niederlande auswandern.

Vaillant: Ich wünsche mir, dass viele Frauen den Mut haben, trotz der Diskriminierung Kinder in die Welt zu setzen. Aber sie sollten sich klar machen, mit welchen Konsequenzen sie rechnen müssen, wenn sie auf Teilzeit gehen. Und man muss mit dem Partner diskutieren, in wie weit er bereit ist, beruflich zurückzustecken. Ich glaube, die Bereitschaft gibt es bei der heutigen Männergeneration stärker, als es bei meinen Altersgenossen der Fall war. Aber ich glaube, all das wissen die jungen Frauen selbst. Interview: Orla Finegan

Zur Person: Die Autorin Kristina Vaillant, Jahrgang 1964, hat vergangenenes Jahr das viel diskutierte Buch „Die verratenen Mütter. Wie die Rentenpolitik Frauen in die Armut treibt“ veröffentlicht. Die zweifache Mutter lebt in Berlin.

Frauen, die Kinder bekommen, werden auf dem Arbeitsmarkt und später bei der Rente im Vergleich zu Männern meist systematisch benachteiligt. Symbolfoto: DAK/Wigger, dpa

 

Die Grenzen der Harmonie
Regierungsbilanz In der Familienpolitik gab es zwischen Union und SPD viele Konflikte. Manches Projekt scheiterte

Von Bernhard Junginger

Versprechen, die Familien das Leben leichter machen sollen, haben in Wahlkampfzeiten Konjunktur. Das war vor vier Jahren so und ist heute nicht anders. Als sich Union und SPD 2013 auf ihren Koalitionsvertrag einigten, mussten teils sehr unterschiedliche Vorstellungen unter einen Hut gebracht werden. Obwohl sich die sozialdemokratische Familienministerin Manuela Schwesig schwungvoll ans Werk machte, konnte sie viele, aber längst nicht alle Vereinbarungen umsetzen.

Schwesig ist inzwischen als Ministerpräsidentin nach Mecklenburg-Vorpommern gewechselt und von Katarina Barley (SPD) abgelöst worden. Unter Schwesigs Verantwortung investierte die Bundesregierung kräftig in den Kita-Ausbau, trotzdem fehlen laut Studien noch rund 300 000 Plätze. Das Elterngeld Plus sorgt dafür, dass Eltern heute bis zu 32 Monate lang ihre Arbeitszeit zum Zweck der Kinderbetreuung verkürzen können. Zudem wurden steuerliche Entlastungen und ein verbesserter Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende eingeführt. Nicht zustande kam eine Reform des Jugendschutzes, die Schwesig vorantrieb. Das Gesetz sollte etwa den Gefahren für Kinder durch neue Medien besser begegnen, doch es scheiterte am Widerstand aus einigen Bundesländern.

Manuela Schwesig wollte zudem erreichen, dass Väter und Mütter gleichermaßen bestimmte Zeiten frei nehmen oder ihre Arbeitszeit reduzieren können, um Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen. Die Union sperrte sich, die SPD nimmt das Thema nun im Wahlkampf auf.

Auch Arbeitsministerin Andrea Nahles konnte nicht alle Vorhaben durchdrücken, mit denen sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern wollte. Obwohl im Koalitionsvertrag verankert, scheiterte das von ihrer SPD geforderte Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit nach familienbedingter Reduzierung der Arbeitszeit. Das Lohngerechtigkeitsgesetz wurde in abgeschwächter Form beschlossen: Beschäftigte in Firmen mit mehr als 200 Mitarbeitern haben künftig einen Anspruch auf Informationen über die Lohnstruktur im Betrieb. Das soll dazu führen, dass Frauen für gleiche Arbeit gleichen Lohn bekommen wie die männlichen Kollegen. Kritiker bemängeln, dass viele Frauen, die in kleineren Betrieben arbeiten, davon nicht profitieren.

Völlig unerwartet kam es zum Ende der Legislaturperiode dann noch zu einem Paukenschlag, der das traditionelle Familienbild massiv verändert: Der Bundestag beschloss die „Ehe für alle“. Jahrelang hatte das Thema für erbitterten Streit gesorgt. Viele Politiker, gerade aus der Union, stellten sich gegen die völlige rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare. Zumindest verklausuliert stand die Forderung sogar im Koalitionsvertrag, doch mit einer Umsetzung hatte niemand gerechnet. Dann zeigte sich CDU-Kanzlerin Angela Merkel bei einer Veranstaltung für das Thema prinzipiell offen und machte damit den Weg zu einer Abstimmung ohne Fraktionszwang frei. Ab 1. Oktober können homosexuelle Paare nun heiraten. Und anders als in den bisherigen eingetragenen Lebenspartnerschaften dürfen sie künftig gemeinsam Kinder adoptieren.

SPD-Familienministerin Katarina Barley mit Vorgängerin Manuela Schwesig bei der Amtsübergabe: Längst nicht alle Vereinbarungen umgesetzt. Foto: Kappeler, dpa

Das wollen die Parteien

CDU und CSU wollen Kinderrechte ins Grundgesetz aufnehmen. Nach Kita- und Kindergartenplatz soll auch ein Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter eingeführt werden. Das Wahlprogramm sieht zudem vor, dass Steuerfreibeträge für Kinder schrittweise auf das Niveau des Erwachsenenfreibetrags anzuheben. Zudem ist eine Erhöhung des Kindergeldes um 300 Euro pro Kind und Jahr vorgesehen. Ein Baukindergeld von 1200 Euro je Kind und Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren und Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer sollen Familien den Kauf von Wohneigentum erleichtern.

Die SPD fordert die Einführung einer Familienarbeitszeit und des Familiengeldes. Eine partnerschaftliche Aufteilung von Familie und Arbeit scheitere in der Praxis meist. Nach kurzer Elternzeit kehrten die meisten Väter voll in ihre Jobs zurück, Mütter stiegen meist nach einem Jahr wieder in Teilzeit ein. Nach dem SPD-Plan könnten beide Elternteile ihre Arbeitszeit auf bis zu 75 Prozent der Vollzeit reduzieren und würden dafür jeweils 150 Euro Familiengeld im Monat erhalten – bis zu zwei Jahre lang. Bildung soll komplett gebührenfrei werden – von der Kita über die Ausbildung und Erststudium bis zum Master oder zur Meisterprüfung.

Die Linke fordert ein „qualitativ hochwertiges beitragsfreies Ganztags-Betreuungsangebot für Kinder“ Darauf soll es einen Rechtsanspruch geben. Jegliche Gebühren im öffentlichen Bildungssystem will die Linke abschaffen. Eltern sollen bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes besonderen Kündigungsschutz genießen. Flexible Arbeitszeitmodelle sollen Eltern helfen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Die Linke setzt sich für die Gleichberechtigung aller Lebensweisen ein auch bei mehr als zwei Personen umfassende Beziehungen.

Mit dem Konzept „Kinderzeit Plus“ wollen die Grünen das Elterngeld ablösen. Jeder Elternteil, der seine Arbeitszeit reduziert, erhält acht Monate finanzielle Unterstützung, weitere acht Monate können frei zwischen den Eltern aufgeteilt werden. Die Betreuungszeit kann genommen werden, bis die Kinder 14 Jahre alt sind. Nach Phasen der Teilzeit sollen Eltern auf Vollzeit zurückkehren können. Kindergeld, Kinderfreibeträge und Ehegattensplitting sollen durch ein Familien-Budget ersetzt werden, das alle Kinder gleichstellt, egal wie hoch das Einkommen der Eltern ist.

Auch die FDP will kinderbezogene Leistungen bündeln: zum sogenannten Kindergeld 2.0, mit dem bisherige bürokratische Hemmnisse wegfallen sollen. Künftig soll es ein Leistungspaket geben, das aus einem einkommensunabhängigen Grundbetrag, dem einkommensabhängigen Kinder-Bürgergeld sowie Gutscheinen für Bildung und Teilhabe besteht. Die Bildungsausgaben will die FDP massiv erhöhen.

In der Familienpolitik verfolgt die AfD das Ziel, den Trend der „Selbstabschaffung“ aufzuhalten und das „Staatsvolk“ zu erhalten. Die AfD will das traditionelle Leitbild der Ehe und Familie mit Kindern bewahren und stärken. Eine spezielle Förderung für Alleinerziehende lehnt die AfD ab. „Ehe-Start-Kredite“ mit Teilerlassen für Kinder sollen Paare motivieren, eher mit der Familienplanung zu beginnen. (bju)

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