BTW 17 Gerechtigkeit... was ist das ?

19. September 2017

Lesen SIE dazu bitte die NUZ;

Gerechtigkeit, was ist das eigentlich?
Wahlkampf Es ist eine zentrale Frage im Duell ums Kanzleramt: Wie gerecht geht es in Deutschland zu? Auch Ökonomen streiten über die passenden Rezepte gegen Ungleichheit. Am Ende zeigt sich: Es kommt immer auf die Perspektive an

Berlin Mehr Millionäre, aber auch viele Langzeitarbeitslose, Mini-Jobber, befristet Beschäftigte: Das Reizthema Gerechtigkeit hat im Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt. SPD-Chef Martin Schulz steuerte nach anfänglicher Kritik an dem Schwerpunkt etwas um – doch es wird weiter darüber diskutiert, was eine faire Gesellschaft mit Chancen für alle ausmacht. Dabei gibt es verschiedene Vorschläge, wie man das Ziel erreicht. Denn Gerechtigkeit ist nicht gleich Gerechtigkeit.

„Aus liberaler Sicht wird vor allem das Marktergebnis als gerecht angesehen. Ich halte das für eher problematisch“, sagt etwa Gustav Horn. Der Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung meint: Gerechte Politik sei mehr als nur Rahmenbedingungen setzen, wie das etwa viele in Union und FDP sehen. „Wir wissen, dass der Markt auch ungerechte Ergebnisse bringen kann. Menschen können aus reinem Pech scheitern.“

Inwieweit soll also der Staat in Wirtschaftsprozesse eingreifen, auch um die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen? Judith Niehues vom Institut der deutschen Wirtschaft erklärt, dass scheinbar einfache Rezepte oft nicht eindeutig sind. Denn es gibt Situationen, in denen bloße Gleichheit auch den Benachteiligten schaden kann. Fördert man dagegen gezielt Talente oder Gründer, können am Ende manchmal alle mehr profitieren, wenn später neue Jobs für mehr Menschen entstehen.

Im Umkehrschluss bedeute das: „Wenn die Gleichheit größer wird, muss das nicht automatisch heißen, dass auch die Gerechtigkeit zunimmt“, sagt Niehues. Experten der Deutschen Bank betonten schon Ende 2016: „Die globale Einkommensungleichheit ist über die letzten Jahrzehnte gestiegen.“ Gleichzeitig hätten Globalisierung und neue Technologien jedoch „unbestreitbar positiven Einfluss auf das Gesamteinkommen“.

Im Wahlkampf wurde der Kampfbegriff „Gerechtigkeit“ teils kritisch gesehen, weil es vielen Deutschen gut geht. Ist es also falsch, Gerechtigkeit zu fordern? Schließlich gibt es auch Armut, und manche Beobachter sprechen sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus. Hängen Verteilung und Wirtschaftsleistung zusammen? „Es muss keinen Widerspruch zwischen gerechter Verteilung und effizientem Wachstum geben“, so Horn – man müsse aber schauen, um wessen Wachstum es geht.

Vor allem Linke und SPD bemängeln, dass Lohnzuwächse häufig hinter Kapitalrenditen und Firmengewinnen zurückbleiben. Das werde noch deutlicher, wenn man das Preisniveau einbeziehe, sagt Horn: „Die Reallöhne sind für viele Menschen gefallen, andererseits ballen sich große Reichtümer zusammen. Das schafft Verdruss, der sich politisch niederschlägt, etwa in einer geringeren Wahlbeteiligung und größerem Rekrutierungspotenzial für radikale Kräfte.“ Bei dem, was brutto auf dem Gehaltszettel steht, wurden die Unterschiede laut Commerzbank immerhin geringer. Dies zeigt der Gini-Index, ein Verteilungsmaß.

Wenn es um Arbeit und Bildung geht, driften die Meinungen der Ökonomen besonders auseinander. „Man muss unterscheiden zwischen Chancengerechtigkeit – der Idee, dass alle gleiche Startchancen haben – und Verteilungsgerechtigkeit, die einen Schritt weiter geht“, erläutert etwa Niehues. Worin sich aber nahezu alle Experten einig seien: dass mehr „Mobilität für den Aufstieg“ nötig sei. Denn Erfolg hänge in Deutschland noch stark vom Elternhaus ab.

Den Slogan „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ wollen die Sozialdemokraten mit Punkten wie gleichem Lohn für Leiharbeit und dem Arbeitslosengeld Q – längerer Unterstützung bei weiterer Qualifizierung – verknüpfen. „Das Arbeitslosengeld Q ist ein gutes Beispiel für Wechselwirkungen von Effizienz und Gerechtigkeit: Es erscheint vielen gerecht, geht aber mit sehr problematischen Anreizwirkungen einher“, meint Niehues.

Jedoch: „Wenn zusätzliches Einkommen durch außerordentliche Leistung gerechtfertigt ist, wird das akzeptiert.“ Beim Thema Managergehälter sei das schwieriger. Bei ihren Plänen für Spitzensteuersätze erst ab höheren Einkommen seien beide große Parteien nicht weit auseinander. Dagegen dürften „Vorschläge für eine Superreichen-Steuer kein großes Aufkommen erzielen, sondern eher einen symbolischen Effekt haben“. Der Sozialverband VdK betont allgemein: „Eine gerechte Steuerpolitik ermöglicht Investitionen, etwa in gute Bildung, die Bekämpfung von Armut und Langzeitarbeitslosigkeit, die Unterstützung von Familien und Pflegebedürftigen und in Renten, die zum Leben reichen.“

Für andere Experten ist Bildung ein Schlüssel für Gleichheit in den Chancen. Eine Abschaffung von Kita-, Schul- und Studiengebühren will etwa die Linke durchgängig durchsetzen. Für Horn steht jedenfalls fest: „Bildung hat eine enorme Integrationsfunktion. Deshalb halte ich nichts davon, über ein Gutscheinsystem, wie es die FDP vorschlägt, das Bildungssystem stärker zu einem Wettbewerbssystem zu machen.“

Und müssten Reiche nicht mehr zur Staatsfinanzierung beitragen? Auch hier kommt es auf die Perspektive an. Expertin Niehues vom Institut der Deutschen Wirtschaft gibt zu bedenken: Würde man Familienfirmen mit hohem Betriebsvermögen in Aktiengesellschaften umwandeln, hätte man zwar weniger Vermögensungleichheit. „Aber viele Arbeitnehmer, die in Familienbetrieben beschäftigt sind, wären sicher froh, weiter in dieser Unternehmensform arbeiten zu können.“

Eine Vermögensteuer würde die Ungleichverteilung der Besitzstände zudem praktisch nicht verändern – das zeigten Simulationen. Kollege Andreas Peichl vom Münchner Ifo-Institut warnte allerdings vor kurzem: „Deutschland geht es sehr gut. Aber vor allem durch die zunehmende Vermögensungleichheit steht es für die Zukunft vor Problemen.“ Jan Petermann, dpa

Senioren, die auch nach der Rente weiter arbeiten oder Flaschen sammeln, um etwas Geld zu verdienen: „Altersarmut“ ist ein regelmäßiges Schlagwort im Wahlkampf. Aber geht es wirklich so ungerecht zu im Land? Foto: Sebastian Gollnow, dpa

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