BTW 17 Bildung... das WAHLTHEMA. wichtig !!!

21. September 2017

Lesen SIE bitte die NUZ..

Die Grenzen der Bildungspolitik
Gesellschaft Bildung ist Ländersache. Was das bedeutet, bekommen zahlreiche Familien zu spüren, die mit schulpflichtigen Kindern von einem Bundesland in ein anderes ziehen. Wie zeitgemäß ist Deutschlands Bildungssystem heute noch?

Von Jakob Stadler

Es war gegen Ende des Schuljahres, als sich Elmas Akalin mit ihrem Mann und ihren Kindern an den Esstisch setzte, um über die Schule zu sprechen. In Nordrhein-Westfalen, da hatten ihre beiden Söhne keine Probleme gehabt. Doch jetzt, nach dem Umzug nach Bayern, war das anders. Akalin und ihr Mann hatten beschlossen, die Kinder vom Gymnasium zu nehmen. Sie lernten viel, doch die Noten passten nicht.

Elmas Akalins Mann hatte einen neuen Job in München gefunden, die Familie zog 2014 von Neuss in Nordrhein-Westfalen nach Augsburg. Ihre beiden Söhne, damals zehn und 13 Jahre alt, mussten auf eine neue Schule gehen. Das erste Schuljahr war schwer. So schwer, dass Akalin ihren Söhnen eröffnete: „Vielleicht ist es der einfachere Weg, die Realschule zu besuchen.“

Ihr älterer Sohn, Muhammed, war nach den Sommerferien 2014 in die achte Klasse gekommen. Vor allem in Mathe und in Latein gab es Probleme. „Die Schüler waren mit dem Stoff deutlich weiter“, erzählt Akalin. Die Lehrpläne waren anders aufgebaut. Muhammed bekam Nachhilfe, doch die Noten wurden nicht besser. Weiter brachte er Fünfer und Sechser nach Hause. Nach zweieinhalb Monaten entschied die Familie, es wäre besser, wenn er wieder in die siebte Klasse ginge. Beim Jüngeren der Söhne, Hamza, lief es zwar etwas besser. Er kam in die fünfte Klasse. Das Gymnasium war auch für seine Mitschüler neu. Trotzdem hatte er auch er Probleme mit dem neuen Schulsystem.

Ein Schulwechsel über die Ländergrenzen hinweg bringt immer Probleme für Familien. Denn Bildung ist in Deutschland Ländersache. Es gibt 16 verschiedene Schulsysteme. Ist das noch zeitgemäß? Immer mehr Familien müssen aus beruflichen Gründen umziehen. Der Flickenteppich hat Auswirkungen über die Schulzeit hinaus. Wie vergleichbar ist das Abitur? Denn auch wenn die Schüler aus verschiedenen Ländern unterschiedliche Prüfungen absolviert haben – wenn sie sich an einer Hochschule bewerben, gilt oft der Numerus clausus, der Notendurchschnitt. An den Universitäten zeigt sich, dass ein Teil der Studenten in der Schule auf wissenschaftliches Arbeiten vorbereitet wurde, in Bayern etwa die sogenannte Seminararbeit geschrieben hat. Für Studenten aus einigen anderen Bundesländern ist dieses Arbeiten komplett neu.

Auch die Rolle der Eltern definieren die Bundesländer unterschiedlich. Besonders beim Übertritt von der Grundschule an eine weiterführende Schule. In Hessen, Schleswig-Holstein oder Niedersachsen ist das Übertrittszeugnis nur eine Empfehlung. Dort dürfen, anders als in Bayern, die Eltern bestimmen, welche Schulform das Kind nach der vierten Klasse besucht.

Zwei Grundsätze bestimmen, dass sich die Schulen innerhalb Deutschlands derart unterscheiden. Der eine ist der Bildungsföderalismus. Jedes Bundesland entscheidet selbst, welches Schulsystem dort herrscht. Der zweite Grundsatz ist das sogenannte „Kooperationsverbot“, festgelegt im Jahr 2006 von der Großen Koalition, im Rahmen der Föderalismusreform. Damit ist die Vereinbarung gemeint, dass sich der Bund in Sachen Bildung nicht einmischt, auch nicht mit Investitionen. 2014 wurde es, wieder von der Großen Koalition, leicht aufgeweicht. Investitionen in die Bildung vonseiten des Bundes sind nur in engen Grenzen möglich.

Der Bund darf etwa für zusätzliche Lehrer kein Geld bereitstellen, er darf keinen Einfluss auf das Unterrichtskonzept nehmen. Aber er kann zeitlich begrenzte Förderungen vergeben, etwa um Gebäude zu sanieren oder Klassenzimmer technisch aufzurüsten. Vor der Wahl fordern nun einige Parteien, das Kooperationsverbot abzuschaffen. Sie wollen die Schulen mehr unterstützen, Milliarden sollen für die Schulbauten bereitgestellt werden, ein Digitalisierungspakt soll die Klassenzimmer fit für die Zukunft machen. Bundesweit sollen ähnliche Standards herrschen.

Heinz-Peter Meidinger ist Präsident des Deutschen Lehrerverbandes: „Verkämpft euch nicht mit dem Kooperationsverbot“, warnt der Philologenverbandschef vor einer Scheindebatte. Er verweist darauf, dass das Kooperationsverbot im Grundgesetz festgeschrieben sei. Das heißt, um es abzuschaffen, wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig. Rechtlich sei es möglich, auch ohne diese Grundgesetzänderung Geld für die großen Baustellen – Sanierung und Neubau sowie digitale Ausstattung – bereitzustellen, sagt Meidinger. Die Debatte um das Kooperationsverbot sei eher eine „Alibi-Diskussion“. Sie diene Bund und Ländern als Rechtfertigung, warum zu wenig Geld in die Bildung investiert wird. Meidinger, selbst Schulleiter in Bayern, erinnert daran, dass in den Ländern Mehreinnahmen meist nicht in die Bildung fließen. Das Problem sei, welche Priorität die Bildung für die Politik hat. „Wenn man sich einig ist, findet man einen Weg.“ Die Bildung stattdessen zentral von Berlin aus zu steuern, hält der Bayer für falsch. „Dann gibt es eine Angleichung auf ein niedrigeres Niveau.“

Auch ohne Kompetenzen des Bundes gibt es Absprachen zwischen den Bundesländern. In der Kultusministerkonferenz versuchen die zuständigen Ministerien, die Abschlüsse vergleichbarer zu machen. Die Konferenz hat verschiedene Bildungsstandards festgelegt und in einigen Bundesländern für manche Fächer einheitliche Abiturprüfungen organisiert.

Für Familien, die jetzt vor Problemen stehen, arbeitet die Konferenz nicht schnell genug. Schulen vor Ort erweisen sich eher als flexibel. Als Elmas Akalin in der Schule ankündigte, ihre Söhne vom Gymnasium zu nehmen, schickte sie der Schulleiter zu den Klassenlehrern. „Ich hätte nicht gedacht, dass die mich noch umstimmen können“, sagt Akalin. Doch die Lehrer konnten. Sie rieten vehement: „Lassen Sie Ihre Kinder auf der Schule.“ Jetzt hätten sich die Kinder gerade eingelebt. Die Familie folgte der Empfehlung. „Die Kinder waren so happy.“ Es war die richtige Entscheidung. Muhammed und Hamza gehen immer noch auf das gleiche Augsburger Gymnasium. Hamza ist mittlerweile in der achten Klasse. Und auch Muhammed bringt bessere Noten nach Hause. Er hat gerade das Kleine Latinum erhalten.

Es gibt nicht ein deutsches Schulsystem, sondern 16 unterschiedliche. Im Wahlkampf ist es ein umstrittenes Thema, ob der Bund wieder mehr Einfluss auf die Bildungspolitik bekommen soll. Foto: Armin Weigel, dpa

Stinkende Toiletten, Schimmel, undichte Dächer
Interview Wie marode sind deutsche Schulen? Die Stiftung Bildung hat sich umgesehen und erklärt die Probleme

Frau von Treuenfels, Sie sind im Vorstand der Stiftung Bildung und stellen mit der Initiative „Einstürzende Schulbauten“ vor der Wahl marode Schulen im Internet vor. Wie schlimm steht es um Deutschlands Schulhäuser?

Daniela von Treuenfels: Das ist regional sehr verschieden. Es gibt auf der einen Seite die schönen und gut ausgestatteten Häuser, anderswo stehen vergammelte und verwahrloste Gebäude. Die Zeitungen sind voll von diesem Thema, quer durchs Land.

Was sind die Klassiker auf der Liste?

Treuenfels: Stinkende Toiletten, Schimmel, Wände, von denen der Putz rieselt, undichte Dächer. Man muss kein Experte sein, um zu ahnen, dass manche dieser Mängel gesundheitsschädlich sind, der Schimmel in geschlossenen Räumen zum Beispiel. Es ist ein Unding, Kinder in solchen Räumen sitzen zu lassen.

Wie hoch ist der Sanierungsbedarf an den deutschen Schulen insgesamt?

Treuenfels: Die Förderbank KfW hat ihn im vergangenen Jahr auf 34 Milliarden Euro geschätzt. Dabei sind die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen gar nicht eingerechnet. Ich schätze, dass man noch einmal zehn Milliarden dazurechnen kann. Es gibt aber riesige Unterschiede zwischen den Bundesländern. Gerade im strukturschwachen Osten ist es vielen Kommunen nicht möglich, ausreichend zu investieren. Viele westdeutsche Städte und Gemeinden sind hoch verschuldet.

Die bayerische Staatsregierung hat Investitionen an Schulen 2013 mit 800 Euro pro Schüler gefördert. In Berlin oder Nordrhein-Westfalen waren es nur 100 Euro. Entscheidet also der Wohnort darüber, ob ein Kind eine den Standards entsprechende Bildung in modernen Gebäuden genießt?

Treuenfels: Ja, die Schüler in strukturschwachen Gegenden haben im schlimmsten Fall schlechtere Bildungschancen. Sie lernen in hässlicheren Gebäuden, oft gibt es kein Breitband-Internet, die technische Ausstattung ist schlecht. Auch in Bayern ist nicht alles gut. Wir haben Bilder aus einem Gymnasium im reichen Landkreis Starnberg, wo der Balkon gestützt werden muss und Fenster aus den Rahmen fallen.

Ist in maroden Räumen zeitgemäßes Lernen möglich?

Treuenfels: Guten Unterricht gibt es in den schäbigsten Hütten. Wichtig ist aber vor allem, dass nicht nur in frische Farbe und neue Toiletten investiert wird. Pädagogik verändert sich und auch die Räume müssen sich verändern. Lehrer und Schüler wissen ziemlich genau, wie ihre Räume aussehen müssten, damit Lernen funktionieren kann – aber sie werden nicht gefragt. Wenn man sie beteiligt, können kluge individuelle Lösungen entstehen.

Wie müssten Klassenzimmer aussehen?

Treuenfels: Es könnte sich eine Experimentierstation darin befinden, ein Gruppenarbeitstisch, Computerarbeitsplätze, ein Platz für den klassischen Frontalunterricht. Wenn man einen Raum kreativ gestaltet, ist all das möglich. Im Idealfall kann sich darin auch ein Rollstuhlfahrer ohne Probleme frei bewegen.

Das klingt ziemlich utopisch, wo doch schon die grundlegenden Mängel offenbar nicht beseitigt werden.

Treuenfels: Gute Beispiele gibt es bereits, auch in Deutschland. Natürlich sind die Möglichkeiten in den klassischen Flurschulen beschränkt, manche stehen unter Denkmalschutz. Aber ich denke, oft wäre durchaus mehr möglich als das, was letzten Endes passiert.

Obwohl für Schulbauten Landkreise und Kommunen zuständig sind, stellt der Bund jetzt 3,5 Milliarden für Sanierungen bereit. Wie viel bringt das?

Treuenfels: Ich finde sehr gut, dass endlich Geld in die Hand genommen wird, um Schäden zu beseitigen. Die Verteilung der Gelder aber ist nicht optimal. Für die Stiftung Bildung ist es wichtig, dass das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt wird, sondern die Schulen in Angriff genommen werden, die am dringendsten saniert werden müssen.

Es gibt über 33 000 allgemeinbildende Schulen in Deutschland. Wie sollte man da eine Reihenfolge festlegen?

Treuenfels: Die Stiftung Bildung schlägt vor, die ärmsten 2000 Kommunen in den Blick zu nehmen. Wir würden die Zahl der Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen als Kriterien festlegen. Denn gerade dort ist es am wichtigsten, dass die Kinder in Schulen lernen, die den modernen pädagogischen Ansprüchen genügen.

Was muss künftig also passieren?

Treuenfels: Bildung muss als nationale Aufgabe verstanden werden. Bund, Länder und Gemeinden müssen weitaus mehr als dreieinhalb Milliarden Euro investieren. Aber selbst wenn die baulichen Schäden beseitigt sind, haben wir noch keinen Breitbandausbau, keine digitalen Lösungen. Auch der Ausbau der Ganztagsbetreuung und Inklusion bringt bauliche Herausforderungen. Das sind weitere Milliardeninvestitionen. Wir als Gesellschaft müssen deutlich machen, dass wir das wollen. Interview: Sarah Ritschel

Zur Person Daniela von Treuenfels, 52, ist Vorstandsmitglied und Sprecherin der Stiftung Bildung in Berlin. Deren Ziel ist es, die Bildungsbedingungen in Deutschland zu verbessern. Die Stiftung arbeitet unter anderem mit dem Bundesbildungsministerium zusammen.

Gammelige und veraltete Sanitäranlagen sind eins der Hauptprobleme an deutschen Schulen. Foto: Stiftung Bildung

Das wollen die Parteien

CDU und CSU sehen sich als „Garant für gute Bildung und Ausbildung“. Die Union listet Erfolge der vergangenen Legislaturperiode auf und kündigt an: „Diesen Weg gehen wir weiter.“ Im Mittelpunkt steht eine „digitale Bildungsoffensive“. Die Union verspricht mehr Durchlässigkeit zwischen den Schultypen, das Gymnasium soll als eigenständige Form weiter bestehen. Auch ohne Abitur und Studium soll es attraktive Karriereperspektiven geben. Das föderale System wird nicht angerührt: „Schulbildung ist nach der Ordnung des Grundgesetzes Ländersache und wird es bleiben.“ Die Union setzt stattdessen auf mehr Dialog mit den Ländern.

Die SPD moniert, noch entscheide „zu oft der Geldbeutel der Eltern“. Deshalb will die Partei gebührenfreie Bildung – und zwar komplett. Studenten will sie etwa mit höheren Bafög-Sätzen unterstützen. Gleichzeitig sagt die SPD: „Berufliche und akademische Bildung sind gleichwertig!“ Dazu gehöre Durchlässigkeit, die betriebliche Lehre müsse mit einem „Berufsschulpakt“ modernisiert werden. Zudem will die SPD eine „Garantie auf einen Ausbildungsplatz“. Das Kooperationsverbot soll mit einem neuen Grundgesetzartikel zuerst aufgebrochen und später völlig aufgehoben werden, sodass der Bund Schulen besser unterstützen kann.

Die Linke sagt, das deutsche Bildungssystem verschärfe „die soziale Spaltung der Gesellschaft, statt ihr entgegenzuwirken“. Daher fordert sie „mehr Personal in Bildung und Erziehung“ sowie „eine Gemeinschaftsschule, die kein Kind zurücklässt“. Das Kooperationsverbot ist für die Partei ein „Hindernis für gleiche und vergleichbare Bedingungen beim Lernen und Lehren“. Bildung soll als Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz verankert werden. Bafög soll von derzeit maximal 735 Euro auf 1050 Euro pro Monat heraufgesetzt werden.

Die Grünen kritisieren: „Zu oft bestimmt immer noch die Herkunft die eigene Zukunft und nicht etwa Talent oder Fleiß. Es ist ein Skandal, dass es für Kinder aus Arbeiterfamilien bei uns so schwierig ist aufzusteigen.“ Mit den Grünen soll jeder durch Bildungsteilhabe „die Chance auf ein gutes Leben bekommen“. Wie die SPD fordern die Grünen daher eine Ausbildungsgarantie. Für die Partei muss „der Bildungsföderalismus entkrustet werden“, um Bund und Länder gemeinsam in die Verantwortung zu nehmen. Das soll für vergleichbare Schulabschlüsse in ganz Deutschland sorgen.

Die FDP setzt für ein Bundestags-Comeback stark auf das Bildungsthema und will daraus ein „Mondfahrtprojekt“ mit „Bildungsausgaben auf Top-5-Niveau“ der Staatengemeinschaft OECD machen. Das Kooperationsverbot sei ein Irrweg: „Die umfassende Modernisierung des Bildungssystems würde Länder und Kommunen allein überfordern“, sie sei eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.

Die AfD verlangt „Vermittlung des Fachwissens als zentrales Anliegen der Schule“. Zudem fordern die Rechtspopulisten: „Keine Sonderrechte für Muslime an unseren Schulen.“ Auf das Kooperationsverbot geht die Partei in ihrem Programm nicht konkret ein. Sie schreibt lediglich: „Die Bildungsstandards in allen Schulformen müssen sich an dem jeweils höchsten Niveau in Deutschland ausrichten.“ (dpa)

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