Jamaika... Brennpunkt..
28. September 2017
Lesen SIE bitte die NUZ
Von Rudi Wais
Augsburg Die roten Linien sind schon gezogen. Horst Seehofer hat den Wählern der CSU versprochen, dass die Aufnahme von Flüchtlingen durch eine Obergrenze reguliert wird, die Grünen lehnen genau das ab und wollen den Nachzug von Familienangehörigen sogar noch ausweiten, die FDP wiederum pocht auf Steuerentlastungen von 30 Milliarden Euro und mehr. Wie all das zusammengehen soll – das ist wenige Tage nach der Wahl die große Frage im politischen Berlin.
„In einer Koalition mit uns wird es keine Obergrenze geben“, sagt Grünen-Chefin Simone Peter – und beruft sich dabei auch auf die CDU und die Liberalen. Die CSU dagegen will nur maximal 200 000 Flüchtlinge im Jahr aufnehmen. Dafür garantiere er, sagt Seehofer. Ein Kompromiss? Unklar bis unmöglich. Beim Familiennachzug für vorübergehend aufgenommene Flüchtlinge stehen die Grünen mit ihrer Forderung nach einer großzügigeren Regelung dagegen alleine da. Die drei anderen Parteien wollen den Aufnahmestopp für Angehörige, der im März ausläuft, verlängern. Einigen könnte eine Jamaika-Koalition sich möglicherweise auf eine erweiterte Liste der sicheren Herkunftsstaaten, auf der dann auch Algerien, Tunesien und Marokko stünden. Wer aus den Ländern auf dieser Liste kommt, hat in Deutschland praktisch keine Chance mehr auf Asyl.
Hier argumentieren die Grünen ähnlich rigide wie die CSU bei der Obergrenze: Möglichst rasch raus aus der Kohle und im Jahr 2030 auch raus aus dem Verbrennungsmotor. Union und FDP dagegen haben vor allem die Interessen von Autofahrern und Unternehmen vor Augen. Wenn die Grünen eine Jamaika-Koalition wollten, hat Seehofer vor kurzem in einem Interview mit unserer Zeitung gewarnt, müssten sie alles unterlassen, was Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gefährde. Die FDP will sich in Brüssel notfalls sogar für eine Lockerung der strengen Abgas-Grenzwerte einsetzen. Einigen könnten sich die künftigen Koalitionäre dagegen auf eine stärkere Förderung der E-Mobilität und einen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien.
Die FDP will die Steuerzahler um mindestens 30 Milliarden Euro jährlich entlasten, die Union immerhin um 15 Milliarden. Die Grünen dagegen wollen den Spitzsteuersatz für Einkommen von mehr als 100 000 Euro im Jahr anheben, eine Art Vermögensteuer für Superreiche einführen, Kapitalerträge tendenziell stärker besteuern als bisher und für neue Ehen auch das Ehegattensplitting abschaffen – eine indirekte Steuererhöhung also. CDU und CSU dagegen haben ihren Wählern versprochen, dass es mit ihnen keine Steuererhöhung geben wird. Einig sind sich alle vier Parteien lediglich darin, dass für kleine und mittlere Einkommen die Steuerprogression etwas entschärft werden soll.
Obwohl alle Parteien mehr Polizisten einstellen wollen, liegen ihre Pläne für den Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität weit auseinander. Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel, die nach einem Gerichtsurteil im Moment auf Eis gelegt ist, wollen Grüne und Liberale am liebsten gar nicht mehr auftauen – die Union dagegen würde sie gerne noch verschärfen. Auch eine große Reform der Nachrichtendienste, wie sie die FDP fordert, ist mit den Konservativen vermutlich nicht zu machen. Dass CSU-Chef Horst Seehofer mit dem bayerischen Innenminister Joachim Hermann einen ausgewiesenen Law-and-Order-Mann nach Berlin schicken möchte, ist ein deutliches Signal an Grüne und Liberale. Bei der Inneren Sicherheit will die Union die Zügel nicht lockern, sondern sie fester anziehen, zum Beispiel mit einem neuen Polizeigesetz mit einheitlichen Sicherheitsstandards für alle 16 Bundesländer – und das idealerweise auf bayerischem Niveau.
Wenn Parteien so weit auseinander- liegen wie Konservative, Grüne und Liberale muss die Chemie zwischen den Unterhändlern stimmen, die die Sondierungsgespräche und später möglicherweise auch die Koalitionsverhandlungen führen. Wenige Teilnehmer können dabei so gut miteinander wie der bayerische Ministerpräsident Seehofer und sein baden-württembergischer Kollege Winfried Kretschmann. Die Parteivorsitzenden von Grünen und FDP, Cem Özdemir und Christian Lindner, duzen sich zwar ebenso wie der grüne Fraktionvorsitzende Anton Hofreiter und der neue CSU-Landesgruppenchef Alexander Do-brindt – trotzdem trennt vor allem die Grünen und die FDP habituell wie kulturell ein großer Graben. Hinter den Kulissen ätzen Grüne über den „Posterboy“ Lindner und Liberale über die „Betschwester“ Kathrin Göring-Eckardt. Am Ende allerdings kommt es auch in den härtesten Koalitionsverhandlungen immer auch auf das Persönliche an: Wer kann mit wem? Wer vertraut wem? Wer bricht das Eis?
Schwarz, Gelb und Grün: Ein solches Bündnis gab es in der Bundesregierung noch nie. Ob sich Union, FDP und Grüne einig werden, steht in den Sternen. Jedenfalls dürften die Spielchen um Inhalte und Posten lange dauern. Foto: Imago