Geraubte Kunst auch in Ulm... auch nach Jahren

21. Februar 2017, 19:00Uhr

geht es um Gerechtigkeit!
Lesen SIE bitte die SWP

Es geht nicht um Moral, sondern um Gerechtigkeit“

Ulmer Museum Alexandra Chava Seymann aus Wien hat ihre Arbeit als Provenienzforscherin aufgenommen. Die 34-Jährige fahndet nach NS-Raubkunst. Von Jürgen Kanold


Ihr Auftrag lautet: Alle Erwerbungen des Ulmer Museums zwischen 1933 und 1945 zu untersuchen und deren Herkunft zu klären, um eventuelle NS-Raubkunst den jüdischen Erben zurückzugeben. Eine Herkulesaufgabe, gut 2100 Objekte sind zu begutachten. „Es geht nicht um die Moral, es geht um Gerechtigkeit“, sagt Alexandra Chava Seymann. Die Provenienzforscherin hat jetzt ihre Arbeit aufgenommen.


Die auf ein Jahr befristete Stelle wird bezahlt vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg, wobei die Förderung auf drei Jahre verlängert werden kann. Eigentlich hätte schon im vergangenen September eine Wissenschaftlerin nach Ulm kommen sollen – diese sagte freilich kurzfristig ab. So zeigte sich Museums chefin Stefanie Dathe gestern sehr froh, die Österreicherin Seymann begrüßen zu dürfen. „Diese Stelle ist ein großer Gewinn für unser Haus, und wir haben natürlich auch ein großes Interesse, die Forschungsergebnisse zu veröffentlichen.“


Die 34-jährige Alexandra Chava Seymann aus Wien hat Judaistik und Philosophie studiert, sich international in Rechts- und Kunstgeschichte weitergebildet, sie spricht mehrere Sprachen fließend und stammt selbst aus einer jüdischen Familie, ist jüdischen Glaubens. Seit 2011 arbeitete sie als Provenienzforscherin am Jüdischen Museum in Wien.


Beantragt hatten das Ulmer Museum und die Stadt Ulm die Stelle, nachdem man mit einem Restitutionsfall konfrontiert war: 2014 hatten die Erben eines jüdischen Sammlers die begründete Rückgabe von drei Stücken der Gold- und Silberschmiedekunst aus der Sammlung Budge gefordert. Diese Sammlung war 1937 versteigert worden, der Erlös der Auktion wurde aber nie an die Familie ausbezahlt. Der von den Nazis eingesetzte Ulmer Museumsleiter Carl Kraus hatte damals, 1937, das „Trinkschiff“ aus dem 17. Jahrhundert für sein Haus gekauft. „Hahn & Henne“ kamen erst 1980 in Paris über den Kunsthandel nach Ulm.


In der Washingtoner Erklärung von 1998 hat sich auch Deutschland verpflichtet, „nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden“. Das hat Ulm getan. Das Museum war 2014 freilich auf dem falschen Fuß erwischt worden, man hatte keine Ahnung von der Herkunft von „Hahn und Henne“ sowie dem „Trinkschiff“. Und das, obwohl die Budge-Sammlung seit Jahren als Raubkunst im Lostart-Register aufgeführt war. Doch am personalknappen Museum hatte niemand die Zeit für Recherchen.


Es begann mit dem Trinkschiff


„Es gibt viel zu tun“, hatte die damalige Direktorin Gabriele Holthuis gesagt. Zusammen mit Mittelalter-Kuratorin Eva Leistenschneider beantragte sie in Magdeburg eine Stelle für die Provenienzforschung am Museum. Die Stadt Ulm hat unterdessen das 1650 von dem Ulmer Goldschmied Hans Ludwig Kienlin dem Älteren hergestellte „Trinkschiff“ für 85  000 Euro von den Erben zurückgekauft sowie „Hahn und Henne“ zurückgegeben.


Jetzt aber hat Alexandra Chava Seymann die Aufgabe übernommen, gründlich im Bestand des Museums zu recherchieren, also aktiv nach NS-Raubkunst zu fahnden. Ausgebildet worden sei sie nicht auf dem „geradlinigen Weg einer Kunsthistorikerin“, sie gehe die Provenienzforschung interdisziplinär an. Chronologisch beginne sie, sagt die Österreicherin, sie sehe zunächst Inventarlisten durch. Es ist auch die pure Kriminalistik. Was macht eine Forscherin misstrauisch? Zum Beispiel eine ausgekratzte Inventarnummer, ein beschädigter Stempel. Als ob da einst etwas vertuscht werden sollte. Den Besitzer beziehungsweise die Erben zu ermitteln, ist dann die andere Frage.


Und sie weiß: „Die Uhr tickt im Hintergrund. Falls es noch Erben gibt, die einen Anspruch auf NS-Raubkunst haben, muss alles schnell geschehen.“ In Wien hat sie die Erfahrung gemacht, dass Provenienzforschung nicht nur einen „akademischen Nutzen“ hat. Befriedigend sei es, ein Gemälde, das restituiert worden ist, dann im Wohnzimmer der Erben hängen zu sehen.

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