Der Kohleausstieg ist möglich und nötig... so Frau Prof. Kemfert..

13. November 2017

Lesen SIE bitte die NUZ..

Der Kohleausstieg ist machbar“
Interview Die Energiewende ist ein Hauptstreitpunkt zwischen Union, FDP und Grünen in den aktuellen Gesprächen zur Regierungsbildung. Energieexpertin Claudia Kemfert meint, dass sich das Land hier mehr Tempo erlauben kann

Frau Professor Kemfert, in den Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition im Bund ist Energie einer der Hauptstreitpunkte. Die Grünen wollen möglichst schnell die 20 dreckigsten Braunkohlekraftwerke abschalten. Ist denn ein Kohleausstieg in Deutschland prinzipiell machbar?

Claudia Kemfert: Ja, machbar und auch notwendig! Wenn man die klimaschädlichsten und ältesten Braunkohlekraftwerke abschalten würde, würde man sofort die Klimaziele des Stromsektors für das Jahr 2020 erfüllen. Derzeit herrscht ein Stromangebotsüberschuss durch Kohlestrom, wir schwimmen im Strom und verramschen ihn an der Börse. Man würde den Überschuss-Kohlestrom halbieren. Dabei bleibt Deutschland noch immer Strom-Exportland und muss keinen Strom aus Polen oder Frankreich importieren. Man würde nicht nur schlagartig die Klimaziele erfüllen, sondern gleichzeitig die Profitabilität des Marktes erhöhen und macht Platz für die erneuerbaren Energien.

In welchem Zeitrahmen halten Sie den Kohleausstieg für realistisch?

Kemfert: Der Stromsektor hat nur noch ein maximales Emissionsbudget von 2000 Millionen Tonnen CO 2zur Verfügung, um die Pariser Klimaziele zu erfüllen, es geht also maximal acht Jahre ein „Weiter so“ ohne Emissionsminderung im Kohlesektor. Um die Klimaziele zu erfüllen, ist ein Kohleausstieg unausweichlich. Dieser muss bis 2030 abgeschlossen sein. Je früher man beginnt, desto einfacher wird es und desto mehr Flexibilität schafft man für die jüngeren Kraftwerke. Man hätte ausreichend Zeit, den Strukturwandel hin zu zukunftsfähigen Jobs auch in den betroffenen Regionen zu begleiten.

Kritiker sagen jedoch, dass gerade die Kohlekraftwerke wichtig sind, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das Argument: Die erneuerbaren Energien schwanken, es muss aber die Grundlast gesichert werden.

Kemfert: Erneuerbare Energien können genauso versorgungssicher wie die alten, ineffizienten und unflexiblen Kraftwerke sein. Sie können als Teamplayer die zukünftigen Bedürfnisse der Energieversorgung viel besser erfüllen: Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraft können so gut aufeinander abgestimmt sein, dass sie jederzeit, also Tag und Nacht, versorgungssicher sind. Die Dynamik und die Dezentralität der erneuerbaren Energien ist sogar ein großer Vorteil: So entlastet man die Verteilnetze und schafft beste Ausgangsvoraussetzungen für Elektromobilität und die erneuerbare Energie im Gebäudebereich. Beide funktionieren nebenbei auch als Speicher im System. Eine Hauptbedingung für den Erfolg der Energiewende ist der dezentrale Ausbau aller erneuerbaren Energien als Teamplayer. Das derzeitige Energiesystem ist hochgradig ineffizient und teuer. Systemoptimale erneuerbare Energien können deutlich kosteneffizienter sein – und grundlastfähig.

Gibt es aber nicht einfach diese dunklen, windstillen Tage, an denen Wind und Sonne wenig Energie liefern?

Kemfert: Ja sicher, maximal zwei Wochen im Jahr. Eine sichere Energieversorgung wird auch mit 100 Prozent erneuerbaren Energien möglich sein – ohne Kohle und Atomkosten, dafür dezentral: Biomasse, Wasserkraft und Geothermie brauchen keine Sonne und keinen Wind, die funktionieren immer. Mit der Sektorkopplung kommen auch Speicher ins Spiel, die für die Mobilität wichtig sind – wie Batterien für Elektroautos oder Öko-Treibstoffe. Das Verfahren, mit Ökostrom Wasserstoff zu erzeugen – „Power to Gas“ –, kann auch für Schiffe oder Flugzeuge interessant sein. Gebäude können nicht nur Energien beispielsweise mit der Solartechnik herstellen, sondern diese auch über die Wärmeversorgung speichern. So wird es weder dunkel noch kalt – in allen Wochen im Jahr.

Wie lässt sich aber die Stromlücke schließen, wenn nicht nur die Atomkraftwerke, sondern auch die Kohlemeiler vom Netz gehen?

Kemfert: Wichtig ist der deutliche Ausbau der erneuerbaren Energien, diese dürfen nicht gedeckelt werden. Wir haben erst ein Drittel der Wegstrecke hinter uns gebracht, jetzt brauchen wir einen langen Atem. Zudem dürfen wir die erneuerbaren Energien nicht gegeneinander ausspielen, was man mit der angeblich so wichtigen „Technologieoffenheit“ beabsichtigt. Stattdessen müssen wir ihre Teamplayerschaft in den Vordergrund rücken. Erneuerbare Energien sind nur zusammen stark.

Können Sie uns erklären, weshalb trotz des massiven Ausbaus erneuerbarer Energien die deutschen CO 2-Emissionen trotzdem nicht sinken?

Kemfert: Weil wir einerseits den Ausbau der erneuerbaren Energien immer weiter drosseln und andererseits den Anteil von Kohlestrom unverhältnismäßig hoch belassen. Ohne einen Kohleausstieg werden wir die Energiewende nicht schaffen. Ebenso notwendig ist aber auch eine nachhaltige Verkehrswende, die auf Verkehrsvermeidung und -optimierung setzt, auf Elektromobilität im Straßen- und Schienenverkehr und auf klimaschonende Antriebe. Zudem muss mehr getan werden, um das Energiesparen im Gebäudebereich zu verbessern. Nur so können die Emissionen gesenkt werden.

Ihr Kollege Clemens Fuest vom Ifo-Institut wendet ein, dass ein deutscher Kohleausstieg für das Klima wenig bringt. Damit würden europaweit die Emissionszertifikate billiger und andere Länder würden umso mehr CO 2emittieren. Was antworten Sie ihm?

Kemfert: Dem Klima bringt der Kohleausstieg viel, da die Emissionen schlagartig sinken. Auch gibt es keine Verlagerung, da nahezu alle Kohlekraftwerke in Europa am Anschlag produzieren – es gibt somit keine „freien“ Kapazitäten, die hochfahren, wenn Deutschlands Kohlekraftwerke runterfahren. Der Grund: Der CO 2-Preis ist ohnehin seit Jahren im Keller, das ist ja die Ursache des Klimaproblems. Wir haben zu viele Emissionszertifikate im System, die erst abgeschafft werden müssten, damit eine veränderte Nachfrage im Preis überhaupt sichtbar wird. Wir können also Kohlekraftwerke abschalten, der CO 2-Preis bleibt sowieso konstant niedrig und wird erst wieder höher, wenn das Emissionshandels-Instrument in Europa repariert wird – was ab 2025 der Fall sein wird. Oder aber man beschließt einen CO 2-Mindestpreis, den einst Minister Sigmar Gabriel über eine Klimaabgabe versucht hat einzuführen. Das Ergebnis ist bekannt: es wurde nichts draus. Wir können nicht bis 2025 warten, daher müssen wir schnell handeln.

Verbraucher und Industrie stöhnen bereits heute über den hohen Strompreis. Können wir uns da weitere Schritte überhaupt leisten?

Kemfert: Wir können es uns nicht leisten, weiter auf Atom und Kohle zu setzen, die deutlich höhere Kosten verursachen und nicht nur die Industrie, sondern die Volkswirtschaft belasten. Erneuerbare Energien werden ja immer billiger. Wenn das System einsatzfähig und optimiert ist, werden die Strompreise massiv sinken können. Selbst das Maximum der EEG-Umlage ist in Sichtweite: in fünf Jahren wird sie sinken können. Nicht die erneuerbaren Energien machen den Strompreis teurer, sondern das unnötig lange Festhalten am Vergangenen – und an Atom und Kohle. Je schneller wir vorwärtskommen und auf Innovationen und Flexibilität setzen, desto kosteneffizienter wird es.

Eine letzte Frage: Angenommen, die E-Mobilität kommt stärker als bisher. Reicht der Strom für all diese neuen E-Autos aus?

Kemfert: Kein Problem, wir haben schon deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Energien, um alle Fahrzeuge in Deutschland elektrisch zu betreiben! Interview: Michael Kerler Da Claudia Kemfert auf Reisen war, haben wir das Interview schriftlich geführt.

„Eine sichere Energieversorgung wird auch mit 100 Prozent erneuerbaren Energien möglich sein“, sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Wie, erklärt sie in unserem Interview. Foto: Oliver Betke

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