Trotz des "Aus" für Jamaika.. die Lokalpolitik...Strassenausbaubeiträge... lesen SIE diesen ausführlichen Bericht der NUZ...

20. November 2017

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Wenn Anwohner in ein Loch fallen
Verkehr Saniert eine Kommune in Bayern eine Straße, werden gerne die Anlieger mit zur Kasse gebeten. Dabei kann es um viele tausend Euro gehen. Nun machen immer mehr Bürger ihrem Ärger darüber Luft und fordern die Abschaffung eines umstrittenen Gesetzes

Von Michael Böhm

Neu-Ulm Der Name verspricht Pomp, Königinnen und Prinzen, Pferdekutschen – und natürlich ein Schloss. Doch der Name kann nicht halten, was er verspricht. Ja, es gibt ein Schloss in der Schlossstraße in Reutti. Von der Ulmer Patrizierfamilie von Roth im 16. Jahrhundert erbaut, thront es noch heute majestätisch auf einem Berg des Neu-Ulmer Stadtteils. Doch die Straße dorthin ist weit weniger herrschaftlich. Insbesondere, wenn man auf dem Hof von Landwirt Ludwig Botzenhardt steht und mit ihm über die Schlossstraße vor seinem Grundstück spricht. Sie ist der Grund für seinen Ärger.

Nein, die Straße ist keine dieser Schlaglochpisten, die es in so vielen Städten und Gemeinden gibt. Sie ist in Ordnung, von ein paar Schönheitsfehlern abgesehen. In den 1960er Jahren hat ein Bauunternehmer aus privatem Interesse den Weg zu seinem Anwesen in Eigenregie und auf eigene Kosten asphaltiert. Auf Dinge wie Gehwege, Laternen oder Abwasserrinnen verzichtete er. Das hat nun unangenehme Konsequenzen für Ludwig Botzenhardt.

Er soll jetzt dafür zahlen, dass sich das ändert. Die Stadt Neu-Ulm will die Schlossstraße, die auch zu einer Mehrzweckhalle führt, an die heutigen Standards anpassen. Ein neuer Fahrbahnbelag soll her, dazu ein Gehweg, ein Kanal und Straßenlaternen. Die Stadt bittet die Anlieger zur Kasse. Und das durchaus in einem Maße, das dem herrschaftlich klingenden Namen des asphaltierten Weges gerecht wird. Mehr als 100 000 Euro soll allein Botzenhardt dafür zahlen, dass die seit Jahren bestehende Straße vor seinem rund 6000 Quadratmeter großen Grundstück saniert wird. Weitere 150 000 Euro sollen die anderen Anlieger gemeinsam berappen.

Die Stadt beruft sich dabei auf geltendes Recht. Weil es sich bei den Baumaßnahmen streng genommen nicht um die Sanierung einer bestehenden, sondern um die erstmalige Erschließung einer Straße handle, müssten die Anlieger 90 Prozent der Kosten tragen. So wie in jedem Neubaugebiet auch. Bei einer reinen Sanierung hätte die Stadt mehr Spielraum und könnte, je nach Art der Straße, bis zu 80 Prozent der Kosten selbst übernehmen. Bei der Schlossstraße will sie das aber nicht.

Nun ist Landwirt Botzenhardt kein Querulant, der sich aus Trotz nicht an den Kosten für eine Straße vor seinem Haus beteiligen möchte. „Wenn das die Rechtslage ist, dann halte ich mich auch daran“, sagt er. Zumal der Gehweg und die Laternen in seinem Sinne und dem der Bürger Reuttis seien. Es ist die Art und Weise, wie die Stadt mit ihm und seinen Nachbarn umgeht, die den 54-Jährigen auf die Palme bringt. Der Oberbürgermeister rede nicht mehr mit ihm, weil er einen Anwalt eingeschaltet habe. Die Straße gebe es schon seit Jahrzehnten, von einer Ersterschließung könne also keine Rede sein. Und warum er so viel, andere Nachbarn dagegen – darunter die Stadt als Eigentümer der Mehrzweckhalle – gar nichts bezahlen sollen, verstehe er auch nicht. Kurzum: Wenn Ludwig Botzenhardt das Wort Erschließungsbeiträge hört, dann steigt sein Puls.

Da geht es ihm wie derzeit vielen Menschen in Bayern. Quer durch den Freistaat wird darüber gestritten, ob es denn sein muss, dass Grundstückseigentümer für den Bau beziehungsweise den Erhalt einer Straße bezahlen müssen. Eigentum verpflichtet, sagen die einen. Die Straßen werden von allen genutzt, sagen die anderen.

Der Streit ist nicht neu. Aber in den vergangenen Jahren hat er deutlich an Fahrt gewonnen. „Der Unmut in Bayern wird immer größer“, sagt Wolfgang Schubaur. Von 1990 bis 2002 war er Bürgermeister der Stadt Burgau bei Günzburg und hat regelmäßig Rechnungen für Baumaßnahmen an seine Bürger verschickt. „Beliebt macht man sich damit nicht gerade“, erzählt er. Als es um die Jahrtausendwende darum ging, die Kosten für eine neue Kläranlage auf die Bürger umzulegen, habe ihm das 2002 die Wiederwahl gekostet, ist sich Schubaur sicher.

Danach hat er die Seiten gewechselt. Heute ist der 59-Jährige Rechtsanwalt. Spezialgebiet: Verwaltungsrecht. Regelmäßig steht er vor Gericht ehemaligen Amtskollegen gegenüber. Jeder dritte seiner Fälle hat mit Klagen gegen die von Kommunen erhobenen Erschließungs- oder Straßenausbaubeiträge zu tun. Und es werden immer mehr.

Gründe dafür gibt es laut Schubaur mehrere. Einer sei der stetig schlechter werdende Zustand der Straßen. Viele stammten aus den 60er- und 70er-Jahren und kämen nun an ihre Grenzen. Die Kommunen müssten immer mehr sanieren, zwangsläufig müssten immer mehr Bürger zahlen. Dann sei da die Höhe der zu zahlenden Beiträge, vor denen die allgemein steigenden Baukosten nicht Halt machen. „Es ist keine Seltenheit, dass Eigentümer plötzlich fünfstellige Beträge zahlen müssen. Für viele kann das existenzbedrohend sein“, erzählt Schubaur. Nicht nur einmal sei er vor weinenden Menschen gesessen, die ihre angesparte Altersvorsorge quasi in den Asphalt vor der Haustüre fließen sahen.

Daran ändere auch die Möglichkeit der Kommunen nichts, statt einmalig hohe Beiträge von einzelnen Anliegern jährlich wiederkehrend geringere Beiträge von allen Eigentümern zu verlangen. Das hat der Landtag den Bürgermeistern freigestellt. Bislang hat nach Informationen des Innenministeriums allerdings erst eine einzige bayerische Gemeinde darauf reagiert. Der Aufwand sei zu hoch, heißt es vielerorts.

Und dann ist da noch die Sache mit der Ungerechtigkeit. Diese hat ihren Ursprung vor allem in einem Wort. In Artikel 5 des Kommunalabgabengesetzes steht, dass Gemeinden zur Deckung der Kosten bei der Verbesserung und Erneuerung von Ortsstraßen Beiträge von den Anliegern erheben sollen. Sollen. Jahrelang legte der Großteil der Kommunen dieses „Sollen“ als „Müssen“ aus und bat die Bürger zur Kasse. Andere verstanden „Sollen“ eher als „Können“ und verzichteten darauf.

Vor ziemlich genau einem Jahr stellte dann der Bayerische Verwaltungsgerichtshof endgültig klar: Das Sollen ist für alle ein Muss! Städte und Gemeinden sind also dazu verpflichtet, bei Sanierungen von Ortsstraßen Ausbaubeiträge zu verlangen. Wer das bislang noch nicht tat, müsse eine entsprechende Satzung einführen. Der Aufschrei war groß und er hallt noch immer nach. Viele Kommunen weigern sich trotz Drucks von oben weiterhin, die ungeliebten Beiträge zu erheben – teils aufgrund erheblichen Widerstands aus der Bevölkerung. In Schongau beispielsweise gingen die Bürger wochenlang auf die Straßen, um gegen die sogenannte Straßenausbaubeitragssatzung, kurz „Strabs“, zu demonstrieren. Mit Erfolg. Vor einigen Tagen lehnte der Gemeinderat die Einführung einstimmig ab. So herrscht nach wie vor große Uneinigkeit. In der einen Gemeinde wird gezahlt, in der anderen nicht.

Dazu kommen noch Urteile, Sonderfälle und Ausnahmeregelungen, die deutlich machen, welch seltsame Blüten der Streit treiben kann. So darf beispielsweise die Landeshauptstadt weiterhin auf die Erhebung der Beiträge verzichten. In München sei der Aufwand viel zu hoch und stehe in keinem Verhältnis zum zu erwartenden Ertrag. Dann gibt es unterschiedliche Regeln für ein und dieselbe Straße. So klagen in Neu-Ulm Anwohner der Heinrich-Heine-Straße, weil sie für deren Sanierung zur Kasse gebeten werden sollen – die wenige hundert Meter entfernt wohnenden Nachbarn aber nicht, weil deren Bauabschnitt ein paar Jahre früher an der Reihe war.

Und im 1200-Seelen-Dorf Finningen regen sich die Bürger auf, weil sie für eine viel befahrene Staatsstraße durch ihr Dorf zahlen müssen – die Einwohner des fünf Kilometer entfernt liegenden Holzheim mit seinen 1800 Einwohnern aber nicht. Grund: Finningen ist seit der Gebietsreform in den 70er-Jahren ein Stadtteil von Neu-Ulm, und damit ist die Große Kreisstadt für den Erhalt der Staatsstraße im Ort zuständig. Holzheim dagegen ist eine eigenständige Gemeinde. Hier würde der Freistaat die Kosten für einen neuen Fahrbahnbelag der Staatsstraße übernehmen. „Die Straße ist dieselbe und die Belastung auch. Ob ein Anwohner zahlen muss oder nicht, ist in diesem Fall eine reine Zufälligkeit. Kein Mensch hat Verständnis für eine Regel, die so undurchsichtig und uneinheitlich ist“, sagt Anwalt Schubaur. Für ihn ist klar: Die Straßenausbaubeiträge gehören abgeschafft. Und mit dieser Meinung steht er nicht allein da.

Erst kürzlich griffen die Freien Wähler im Landtag diese Forderung auf. Gerade für ältere Menschen, die von kleinen Renten leben müssten, seien die Ausbaubeiträge eine unzumutbare Belastung. Bürgermeister kämen unter Druck, weil der Ärger mit den Bürgern programmiert sei und Verwaltungen und Gerichten würden die Klagen der Bürger nur zusätzliche Arbeit bescheren. Und das alles für rund 60 Millionen Euro – so viel Geld kassieren die bayerischen Kommunen jährlich über die Straßenausbaubeiträge. „Bei einem Haushaltsvolumen von 60 Milliarden Euro könnte es sich der Freistaat locker leisten, diese Kosten für die Kommunen zu übernehmen“, sagt FW-Chef Hubert Aiwanger. Noch in diesem Monat wollen die Freien Wähler einen Gesetzentwurf in den Landtag einbringen, der genau das regeln würde.

Bereits Mitte Oktober haben der Eigenheimerverband Bayern und der Verband Wohneigentum Bayern eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. In der 55-seitigen Klageschrift wird unter anderem kritisiert, dass im Kommunalabgabengesetz zwar davon die Rede sei, dass die Grundstückseigentümer durch die Sanierung einer angrenzenden Straße einen Vorteil hätten – nicht aber, welcher das sein soll. „Mit einer neuen Straße geht auch mehr Verkehr, mehr Lärm und mehr Gestank einher. Davon steht im Gesetz aber kein Wort“, argumentiert Wolfgang Kuhn, Präsident des Eigenheimerverbandes. Zudem würden Politik und Wirtschaft oft davon sprechen, dass Wohneigentum eine der letzten sicheren Bastionen der Altersvorsorge sei. Diese Aussage werde mit den Straßenausbaubeiträgen, die „wie ein Damoklesschwert über den Eigentümern schweben“, ad absurdum geführt. „Unser Traumziel wäre es, wenn in Bayern gar niemand mehr diese Ausbaubeiträge zahlen muss. So wie es in anderen Bundesländern, zum Beispiel in Baden-Württemberg, ja auch schon der Fall ist“, sagt Kuhn.

Die Bereitschaft für die Abschaffung scheint allerdings nicht allzu groß zu sein. „Die Straßenausbaubeiträge sind ein unverzichtbares Finanzierungsmittel“, sagt Bernd Buckenhofer, Geschäftsführer des Städtetags. Im Innenministerium will man erst im Frühjahr 2018 wieder über das Thema sprechen – und analysieren, wie die Kommunen auf die Möglichkeit, wiederkehrende Beiträge einzuführen, reagiert haben. Das hätten alle Fraktionen des Landtags 2016 gemeinsam beschlossen. Das Vorpreschen der Freien Wähler sei eine „populistische Kehrtwende“, schimpft der CSU-Abgeordnete Florian Herrmann.

Ludwig Botzenhardt aus der Schlossstraße in Reutti schaut sich den Streit um die „Strabs“ aus der Ferne an. Er würde selbst von deren Abschaffung vermutlich nicht profitieren. Denn die Stadt wird voraussichtlich auch danach noch darauf beharren, dass es sich bei der Schlossstraße um eine Ersterschließung handelt. „Ich werde weiter kämpfen und versuchen, mit der Stadt eine gute Lösung zu finden“, sagt der Landwirt. Doch seine Erfahrungen aus früheren Fällen stimmen ihn nur bedingt optimistisch: „Wir werden uns streiten und am Ende werde ich trotzdem zahlen. Das war immer schon so.“

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