Mobilität der Zukunft... interessante Zahlen...

09. Juni 2018

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Ideen zur Mobilität der Zukunft
Gesellschaft Wir sind so viel unterwegs wie noch nie. Die Systeme in Großstädten sind aber am Rande ihrer Kapazitäten. Spätestens der Diesel-Skandal hat die Diskussion darüber entfacht, wie Verkehr anders organisiert werden kann. Eine Zusammenfassung in sieben Thesen

Von Stefan Krog

Am Anfang mal eine Zahl, die manches erklärt: 3 400 000 000 oder in Worten 3,4 Milliarden Kilometer legen wir Deutsche zurück, und zwar pro Tag. Statistisch gesehen läuft, fährt und fliegt jeder von uns 41 Kilometer täglich – so viel wie noch nie. Mehr als 80 Minuten pro Tag sind wir unterwegs. Doch gleichzeitig reichen zumindest in den Großstädten die Kapazitäten immer weniger für die täglichen Völkerwanderungen – in München standen im vergangenen Jahr Autofahrer laut einer Studie des Verkehrsdaten-Unternehmens Inrix etwa 51 Stunden im Stau. Spätestens seit dem Diesel-Skandal läuft eine Diskussion darüber: Kann das so weitergehen und wie müsste Mobilität anders organisiert werden? Eine Zusammenfassung der Debatte in sieben Thesen.

Der Mobilitätsmix ändert sich Auch wenn viele vom Untergang des Autos reden – als Verkehrsmittel, mit dem 54 Prozent aller Wege in Deutschland zurückgelegt werden, steht es immer noch an der Spitze (21 Prozent der Wege werden zu Fuß zurückgelegt, 13 mit dem Fahrrad, elf mit dem öffentlichen Verkehr). Im Regierungsbezirk Schwaben kommen auf jeden Einwohner 0,58 Pkw, Tendenz steigend. Doch speziell in den Städten verliert das Auto bei jüngeren Menschen an Wichtigkeit, so eine These von Mobilitätsforschern. Daten zu den Auswirkungen gibt es aber nicht. Möglicherweise verschiebt sich die Anschaffung des ersten Autos – verbunden mit einer verlängerten Jugendphase von jungen Menschen – auch nur nach hinten. Allerdings lässt sich seit mehreren Jahren beobachten, dass der Anteil des Autos bei der Verkehrsleistung zurückgeht, wenn auch nur in geringem Maße. Profiteure sind Fahrrad, öffentlicher Nahverkehr und nicht zuletzt die eigenen Füße.

Unterschied zwischen Stadt und Land Die Diskussion über den Verkehr fokussiert sich momentan auf Großstädte, wo die Schadstoffbelastung groß ist. Doch trotz der Verstädterungstendenzen in Deutschland wird der ländliche Raum nicht entvölkert werden. Dort, wo größere Entfernungen zurückzulegen sind und der Regionalbus nur dreimal am Tag fährt, ist die Situation anders als in der Stadt. Die Pkw-Dichte auf dem Land ist höher als in der Stadt und wird es auch bleiben. Es gibt Versuche, die Probleme zu lösen, etwa mit Rufbussen. Und auch der Bahnverkehr wird ausgebaut: Rund um Augsburg gibt es schon einen S-Bahn-ähnlichen Verkehr, rund um Ulm soll ein ähnliches System folgen. Die Bahnstrecke bei Weißenhorn wurde schon reaktiviert, die Staudenbahn im Landkreis Augsburg folgt demnächst. Doch das Problem bleibt, dass der Nahverkehr wegen der größeren Fläche nie so passgenaue Angebote für den Einzelnen liefern kann wie in der Stadt.

Leihen statt kaufen Es gibt die These, dass die Konsumenten der Zukunft nicht mehr so viel Wert darauf legen, Dinge zu besitzen, sondern dass es eher darum geht, sie zu benutzen („shared economy“). Man kann angesichts der steigenden Konsumausgaben seine Zweifel an der Durchsetzungskraft dieses Modells haben. Im Bereich der Mobilität gibt es aber ein Segment, das deutliche Zuwachsraten hat, nämlich Carsharing. Deutschlandweit nutzen zwei Millionen Menschen die Möglichkeit, ein Auto stundenweise zu leihen. Vor 25 Jahren wurde das noch als Idee von Öko-Idealisten belächelt, inzwischen drängen Automobilkonzerne in diesen Bereich. Ein Vorteil: Man braucht weniger Parkplätze. Ein Auto im Privatbesitz steht den größten Teil des Tages auf einem Parkplatz, ein Carsharing-Auto kann laut Bundesverband Carsharing bis zu 20 dieser Fahrzeuge ersetzen. Auch die Idee von Leihrädern findet in Deutschland immer mehr Verbreitung.

Der flatterhafte Reisende Die Verbreitung der „Leih-Mobilität“ hängt mit dem Verhalten der Nutzer zusammen: Die Verkehrsforschung geht davon aus, dass Bürger künftig flatterhafter sein werden bei der Wahl ihrer Verkehrsmittel und situativ entscheiden. Am Morgen fährt man bei gutem Wetter mit dem Leihrad zur Arbeit, bei Regen nimmt man für den Heimweg den Bus und fährt abends noch mit dem Carsharing-Fahrzeug zum Einkaufen. „Man wird als Verkehrsanbieter künftig eher in Mobilitätsketten denken müssen“, sagt Walter Casazza, Chef der Augsburger Stadtwerke. Die Augsburger wollen ab Oktober testweise eine „Mobilitätsflatrate“ einführen – für einen Festpreis von 75 Euro soll Abonnenten der Weg zu den Verkehrsmitteln Bus, Tram, Zug, Carsharing-Auto und Leihrad offenstehen. Der Übergang zwischen den Verkehrsmitteln soll nahtlos sein, mit Mobilitätsstationen, wo alle Angebote verfügbar sind. In der Zukunft sind noch andere Dinge denkbar, etwa On-Demand-Verkehre wie autonom fahrende Busse, die den Fahrgast an der Haustür abholen und ihn zur nächsten Tramhaltestelle bringen.

Verkehr wird digital Die Digitalisierung des Verkehrs wird fortschreiten. Das flexible Umsteigen zwischen den geliehenen Verkehrsmitteln funktioniert nur mit Handy-Apps. Schon heute versuchen Verkehrsbetriebe mit Fahrplan-Apps zu punkten, künftig werden ganze Mobilitätsketten via Handy buchbar sein. „Man kauft künftig Mobilität, unabhängig vom einzelnen Verkehrsmittel“, sagt der Berliner Mobilitätsforscher Prof. Andreas Knie. Wer als Verkehrsanbieter nicht auf den Handy-Plattformen der Zukunft vertreten sei, werde keine Kunden mehr haben.

Autonomes Fahren Die weitreichendste Folge der Digitalisierung des Verkehrs ist das autonome Fahren. Autohersteller entwickeln die Technik mit Hochdruck, doch bis zur Serienreife ist es noch ein weiter Weg. Es geht dabei um mehr, als dass der Fahrer zum Passagier wird, der ein Buch lesen kann, während der Computer das Auto ans Ziel bringt. Denn heute verstopfte Straßen könnten durch computergesteuerte Autos, die weniger Staus verursachen, wieder durchgängig werden. Und im Zusammenspiel mit Carsharing ergeben sich neue Mobilitätsmodelle: Statt ein eigenes automatisch fahrendes Auto zu besitzen, ruft man das Fahrzeug eines Anbieters morgens via Handy-App zur Haustür, lässt sich in die Arbeit kutschieren und abends abholen. Die Parkplatzsuche kann man sich sparen. Die Autohersteller werben schon damit, dass Innenstädte künftig nicht mehr mit geparkten Autos zugestellt sein werden. Doch es gibt auch Risiken: Vielleicht sind weniger Parkplätze nötig, aber neue Straßen, wenn durch die neuen Angebote der Auto-Anteil am Verkehr wieder steigt. Und im Berufsverkehr gibt es ja immer eine Hauptrichtung – morgens in die Stadt hinein, abends hinaus. Wenn die Autos nicht in der Stadt geparkt werden, müssen sie so lange woanders hin – das bedeutet mehr Verkehr.

Es geht nicht nur um Fortbewegung Mobilität steht in Wechselwirkung zur Frage, wie Städte geplant werden oder wie die Arbeitswelt organisiert ist. Beim Städtebau müsse wieder der Mensch der Maßstab werden und nicht das Auto, ist eine Kernforderung des weltbekannten Stadtplaners Jan Gehl, der Kopenhagen diesbezüglich zur Musterstadt umbaute. „Eine Verkehrswende besteht aus mehr als einem Technologiewechsel“, sagt Burkhard Horn, der bis 2017 oberster Verkehrsplaner in Berlin war und heute als Berater tätig ist. Es gehe nicht nur darum, Verbrennungsmotoren durch Batterien zu ersetzen, sondern den öffentlichen Raum anders zu planen. Ein Schlagwort ist die „Stadt der kurzen Wege“: Arbeit und Wohnen sollen nah zusammenrücken, was dem jahrzehntelangen Modell von Wohnen auf dem Land und dem Arbeitsplatz in der Stadt widerspricht. Das ist die wirksamste Art der Verkehrsreduzierung.

Mit der Gondel zur Arbeit und zum Einkaufen?
Report Graz kämpft mit Luft-Problemen wie viele deutsche Städte, ist aber auch Vorbild in der Verkehrspolitik. Augsburg will bei der kostenlosen City-Tram folgen. Doch die Österreicher sind noch radikaler

Von Mariele Schulze-Berndt

Graz Die Hauptstadt der Steiermark ist in vieler Hinsicht bemerkenswert. Wegen ihrer vielen historischen Bauten und der beeindruckenden Dächerlandschaft wurde Graz 1999 Unesco-Weltkulturerbe. Entsprechend schmal sind die Straßen, vor allem in den inneren Bezirken und der Altstadt. Straßenbahnen, Räder und Autos müssen sich auf engstem Raum arrangieren. Und obwohl die Stadt über schlechte Luft klagt, gilt sie als Vorbild für moderne Verkehrspolitik.

Am historischen Rathausplatz in Graz ballen sich geparkte Fahrräder in dichten Knäuel. Vor den Geschäften stehen Metallständer mit der Mahnung: „Keine Fahrräder abstellen“. Es gibt zwar ein Fahrradparkhaus am Bahnhof, doch das ist weit von der Innenstadt entfernt. „Die fehlenden Parkplätze für Fahrräder sind wirklich ein Problem“, sagt Thomas Rajakovics, der seit zwölf Jahren für die ÖVP im Gemeinderat sitzt. „Seit unser Vizebürgermeister Edegger in den neunziger Jahren unter dem Motto „Platz für Menschen“ und „Sanfte Mobilität“ die Radwege ausgebaut hat, fahren viele Grazer Rad“.

Erich Edegger starb 1992 im Alter von nur 52 Jahren. Doch der radelnde ÖVP-Mann, der keinen Führerschein hatte, prägte zwei Jahrzehnte als Pionier die Grazer Verkehrspolitik. Er drosselte den Autoverkehr in der Innenstadt, führte mehr Einbahnstraßen und Tempo 30 ein. Ganz in seinem Geiste beschloss Graz vor fünf Jahren, dass alle Bürger und Gäste der Stadt die Straßenbahn in der Innenstadt kostenlos benutzen dürfen.

Zunächst war die „Altstadt-Bim“ ein Experiment, dass die Abwanderung der kauflustigen Kundschaft in die Außenbezirke verhindern und Besuchern der Stadt dienen sollte. Inzwischen ist die „Bim“ Vorbild für Augsburg, wo ab 2019 zwischen Hauptbahnhof und dem berühmten Rathaus von Elias Holl ebenfalls die Tram umsonst sein soll, um den Autoverkehr samt seiner Abgase zu reduzieren.

Deutlich größeren Effekt als die „Altstadt-Bim“, die sich Graz 600 000 Euro im Jahr kosten lässt, erzielte die Stadt Graz mit einem anderen radikalen Schritt: Vor drei Jahren senkte sie den Preis für Jahrestickets für öffentliche Verkehrsmittel um die Hälfte. Dadurch habe sich die Anzahl der Jahrestickets von 12 000 auf 40 000 mehr als verdreifacht. „Über den Preis kann man am meisten erreichen“, sagt Stadtrat Rajakovics. 247 Euro kostet heute die Jahreskarte.

Trotzdem steigt die Zahl der Autofahrer auch in Graz von Jahr zu Jahr. 47 Prozent aller Fahrten werden in Graz bis heute mit dem Auto zurückgelegt. Und das, obwohl die besonders hohe Feinstaubbelastung seit Jahren bekannt ist. An mehr als 49 Tagen im Jahr ist die Feinstaubbelastung höher als von der EU zugelassen. Das wird – ähnlich wie in Stuttgart – auf die Kessellage der Stadt zurückgeführt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Graz ist ein industrieller Hotspot in Österreich. BMW baut das neue Sportwagen-Cabrio Z4 in Graz. 180 Automobilzulieferer beschäftigen 45 000 Menschen.

Forscher der Hochschulen testen gegen die Luftverschmutzung einen Park-and-ride-Knoten mit Fahrradparkhaus und Elektrotankstellen. Denn: Das Problem nimmt zu, die Bevölkerung im Großraum Graz ist seit 1991 um 22 Prozent gewachsen. Fast 300 000 Menschen wohnen in der Stadt, davon studieren 62 000 an einer der sechs Hochschulen. „Die 200 000 Jobs, die es in Graz gibt, werden zur Hälfte von Pendlern erledigt“, berichtet Rajakovics. „Die Stadt hat zwar ein Mobilitätskonzept, das den Autoverkehr verringern will, doch die Pläne werden nicht umgesetzt“, beschwert sich Tina Wirnsberger, die grüne Umweltstadträtin über die ÖVP-FPÖ-Mehrheit im Stadtrat.

Immerhin werden seit achtzehn Monaten vier Elektrobusse erprobt, zwei davon aus China und zwei aus Bulgarien. Der Sprecher der Verkehrsbetriebe Gerald Pichler rechnet mit einem positiven Abschlussbericht im Herbst. „Die Passagiere und die Fahrer sind damit zufrieden.“ Doch die Busse fahren nur sehr selten, es gebe viele technische Probleme. Im Herbst sollen nun Wasserstoff-Busse in den Probebetrieb gehen, doch ÖVP-Stadtrat Rajakovics ist skeptisch: „Das Problem ist, dass die Herstellung des Wasserstoffs sehr teuer ist.“ Er schwärmt von einem anderen Projekt: „Eine Seilbahn, mit der die Pendler an der Stadtgrenze abgefangen werden können.“ Außerdem solle eine „Minimetro“, die sowohl überirdisch als unterirdisch fährt, Ost und Westteil der Stadt verbinden. „Das wäre allerdings viel teurer als die Gondel.“ Eine Gondelbahn würde sogar der Bund fördern. Für weitere Straßenbahnen gibt es dagegen kein Geld aus Wien.

Bürgermeister Siegfried Nagl ist in der Zwickmühle. Im Mai hat er eine Studie präsentiert, die Forscher der Grazer Universität und des Bundesumweltamtes ausgearbeitet haben. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass eine City-Maut in Höhe von acht Euro pro Tag eine Reduzierung des Verkehrs um 23 Prozent zur Folge hätte. Auch ein autofreier Tag hätte ebenso starke Wirkung. Doch der Stadtregierung passen die Ergebnisse nicht ins Konzept. „Eine City-Maut würde den Geschäftsleuten in der Stadt schaden“, sagt Stadtrat Rajakovics. „Die Feinstaubzone geht weit über Graz hinaus. Die Menschen würden dann einfach außerhalb einkaufen.“ Zur City-Maut kämen die Parkgebühren hinzu. Das sei „politisch nicht durchsetzbar“, sagt der ÖVP-Mann. Er will lieber den Nahverkehr im Umland ausbauen und auch dort die Ticketpreise halbieren.

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