Wofür steht die CDU noch?

09. Februar 2018

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Wofür steht die CDU noch?

Kommentar

Von Walter Roller

ro@augsburger-allgemeine.de

Die SPD hat hoch gepokert – und die Kanzlerin über den Tisch gezogen. Weil Angela Merkel ein Scheitern der Verhandlungen nicht riskieren und ihre Wiederwahl sichern wollte, hat die CDU-Vorsitzende das Bundesfinanzministerium geräumt. Damit sind künftig die drei prestige- und ausgabeträchtigsten Ministerien (Außen, Arbeit und Soziales, Finanzen) in der Hand der SPD. Es greift sicher zu kurz, dieses Einknicken vor dem deutlich schwächeren Partner nur auf dem Konto Merkel’scher Machtsicherung abzubuchen. Die Regierungsbildung wegen eines Postens platzen zu lassen, wäre nämlich weder der Union noch dem Ansehen der Demokratie gut bekommen. Symptomatisch für den Zustand der CDU ist diese Niederlage gleichwohl. Man weiß nicht, wofür diese Partei noch steht. Das Ziel, Merkel im Amt zu halten, steht über allem anderen. Was bleibt von der CDU, wenn die Kanzlerin eines Tages geht oder gegangen wird? Weder inhaltlich noch personell ist dafür vorgesorgt. Die Partei wittert die Gefahr. Doch mehr als ein leises Grummeln über die Matriarchin ist – noch? – nicht zu vernehmen.

Der Preis fürs Kanzleramt
Regierung Der Koalitionsvertrag steht. Und doch rumort es in der CDU. Weil die SPD künftig das Finanzministerium und zwei weitere Schlüsselressorts besetzt. Angela Merkel habe sich über den Tisch ziehen lassen, schimpfen manche. Dabei könnte es für die Kanzlerin noch schlimmer kommen

Von Martin FErber

Berlin Manchmal hilft nur noch Sarkasmus. „Puuuh! Wir haben wenigstens noch das Kanzleramt!“, twittert der badische CDU-Abgeordnete Olav Gutting, als die Einzelheiten des Koalitionsvertrages bekannt werden – und damit auch, wie die Ressorts verteilt werden. Dass die SPD sechs Ministerien in der neuen Regierung besetzt und davon die drei wichtigen für Finanzen, Außenpolitik und Arbeit und Soziales, das kann Gutting nicht verstehen. Der bitterböse Tweet des Parlamentariers jedenfalls macht in der Unionsfraktion rasch die Runde. Denn mit seinem Spott über den angeblichen Verhandlungserfolg von CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht der 47-Jährige seinen Kollegen aus dem Herzen.

Der Frust in der Partei ist bei vielen groß, jetzt, wo der Koalitionsvertrag steht. „Wir haben die Wahl gewonnen und die Verhandlungen verloren“, bringt es ein altgedienter Parlamentarier vor der kurzfristig einberufenen Fraktionssitzung am Abend im Reichstagsgebäude auf den Punkt. Er gehe mit der „geballten Faust in der Tasche“ in diese Sitzung, sagt er. „Merkel hat sich von der SPD und der CSU komplett über den Tisch ziehen lassen.“ Um das Kanzleramt zu retten und zum vierten Male zur Regierungschefin gewählt zu werden, habe sie nicht nur inhaltlich alle Positionen der CDU geräumt, sondern sei auch bei der Verteilung der Ministerien viel zu nachgiebig gewesen – das Finanzressort für die SPD, das Innenministerium samt den Bereichen Bauen und Heimat als „Superministerium“ für die CSU. Das böse Wort von der „Resterampe“ macht die Runde, die CDU habe nur das bekommen, was SPD und CSU noch übrig gelassen hätten.

In der Fraktionssitzung selber halten sich die Kritiker allerdings zurück. Fraktionschef Volker Kauder, der zusammen mit Merkel für die CDU die Sondierungsgespräche wie die Koalitionsverhandlungen geleitet hat, spricht von großen Erfolgen, die man vor allem in der Europapolitik, bei der Digitalisierung und in der Bildung erreicht habe. „Europa muss nicht mehr auf uns warten.“ Von den Kritikern meldet sich lediglich Klaus-Peter Willsch zu Wort, der bereits den Euro-Rettungspaketen seine Zustimmung verweigert hat. Am Weihnachtsbaum der Koalition würden viele hübsche Geschenke hängen, die seine Kinder später einmal bezahlen müssten, bemängelt er.

Doch die Fraktionsführung geht darauf nicht ein. Eher matt wird auf das Gesamtpaket verwiesen. Die SPD habe in den Verhandlungen auf die drei Schlüsselministerien Finanzen, Außen sowie Arbeit/Soziales bestanden und davon ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag abhängig gemacht, heißt es. Und dass es für die Union wichtig sei, nach mehr als 50 Jahren wieder das Wirtschaftsministerium sowie das „Zukunftsministerium Bildung und Forschung“ mit seinem milliardenschweren Etat für Investitionen zu haben.

Diese Argumentation überzeugt die Kritiker allerdings nicht. In der Fraktion wie an der Basis brodelt es, die Vertreter des Wirtschaftsflügels und die Konservativen machen mobil. „Es gibt zwei Sieger in den Verhandlungen: die SPD und die CSU. Von beiden könnte die CDU lernen“, sagt Generalsekretär Wolfgang Steiger unserer Zeitung. Die Ressortverteilung spiegle den Wählerwillen nicht wider. Mit dem Finanzministerium und dem Außenministerium in SPD-Hand „drohen wir auf die Rutschbahn zum Geldverteilen in Europa und in Deutschland zu geraten“, sagt Steiger. Der griechische Premierminister Alexis Tsipras werde „sich vor Freude über das neue SPD-Duo im Außen- und Finanzministerium die Hände reiben“. Auch der Karlsruher Abgeordnete Axel E. Fischer nennt es einen „strategischen Fehler“, der SPD das Finanzressort zu überlassen: „Das ist die Verabschiedung vom ausgeglichenen Haushalt und der Einstieg in den sozialistischen Schuldenstaat.“

Abgeordnete erzählen von „wütenden Mails“, die sie von ihren Mitgliedern oder Ortsverbands-Vorsitzenden bekämen, zudem von ersten Parteiaustritten. Im Zentrum der Kritik: Angela Merkel, der es nur um ihre Macht gehe. Immer lauter erschallt der Ruf nach einem personellen Neuanfang an der Spitze der Partei. Alexander Mitsch, der Vorsitzende der konservativen „WerteUnion“, spricht offen von einem „Debakel“ für die C-Partei. Obwohl die CDU bei der Bundestagswahl „deutlich mehr Wählerstimmen erhalten hat als die SPD“, habe sie sich nicht durchsetzen können. Und die Preisgabe des Finanzministeriums an die SPD sei ein weiteres Indiz dafür, „dass es bei der Koalition nicht mehr um eine gute Politik für Deutschland geht, sondern nur noch um den Machterhalt der Kanzlerin“. Durch dieses Verhalten verliere die Parteispitze weiter an Glaubwürdigkeit „und zieht die ganze Partei damit weiter in den Abwärtstrend“, bemängelt Mitsch, der Wortführer der Konservativen in der CDU.

In der Kritik an der Verhandlungsführung kommt viel zusammen: die Enttäuschung über das schlechte Abschneiden bei der Wahl und den nicht erkennbaren Willen der Parteichefin und Bundeskanzlerin, die Botschaft der Wähler zu verstehen und eine Kurskorrektur vorzunehmen einerseits, aber auch der Frust über die zu große Nachgiebigkeit gegenüber der SPD und die fehlende personelle Erneuerung in der zukünftigen Bundesregierung. Merkel, heißt es in der Fraktion, habe versprochen, ihr Kabinett zu verjüngen, doch die Botschaft sei nun ein eher kraftloses „Weiter so“. Verwundert wird zur Kenntnis genommen, dass weder die im Vorfeld hoch gehandelte saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer noch der ehrgeizige Nachwuchsstar Jens Spahn für ein Ministeramt berücksichtigt wurden und einzig mit der rheinland-pfälzischen Oppositionsführerin Julia Klöckner ein frisches Gesicht von außen komme.

In der Union gilt ihre mögliche Berufung zur Landwirtschaftsministerin, die allerdings noch nicht bestätigt wurde, als Signal für die Nach-Merkel-Ära. Die Kanzlerin wolle sie offenbar als potenzielle Nachfolgerin aufbauen, wird spekuliert. Welch wichtige Rolle Klöckner parteiintern spielt, wurde bereits bei den Verhandlungen deutlich. Als Merkel im CDU-Vorstand das Ergebnis des Koalitionsvertrags und die Ressortverteilung vorstellte, herrschte eisiges Schweigen, bis Klöckner die Stille mit ihrem Lob für die Kanzlerin durchbrach. Und tapfer verteidigt sie auch in der Öffentlichkeit die Beschlüsse. „Natürlich hätten wir gern das Finanzministerium behalten, und schön wäre auch, wenn wir alle Ministerien hätten. Aber das ist illusorisch.“

Wie stark ist Merkel wirklich noch? Kann sie CDU, CSU und SPD noch einmal geschlossen hinter sich vereinen, obwohl der Widerwillen auf allen Seiten groß ist? Mit einem gewissen Bangen blicken nicht wenige in der Union der Kanzlerwahl entgegen, die Mitte März im Bundestag stattfinden dürfte. Denn die Regierungschefin wird geheim gewählt – und sie braucht die absolute Mehrheit. Noch nie hat Merkel alle Stimmen ihrer Koalition erhalten. Vor vier Jahren fehlten ihr 42 Stimmen, 2009 waren es 23 Gegenstimmen und 2005, bei ihrer ersten Wahl, bekam sie sogar 51 Stimmen weniger als die Große Koalition Mandate hatte. Doch damals fielen die Ablehnungen angesichts der satten Mehrheit der Regierung nicht ins Gewicht. Dieses Mal ist es anders. CDU, CSU und SPD haben nur noch 399 von 709 Sitzen. Verweigern 44 oder mehr Abgeordnete Merkel in der geheimen Abstimmung die Gefolgschaft, wäre sie durchgefallen – es reichen 22 GroKo-Gegner vom linken Flügel der SPD und 22 Merkel-Kritiker vom rechten Flügel der Union.

Danach würde nach dem Grundgesetz die Uhr ticken: Binnen 14 Tagen müsste eine zweite Wahl stattfinden, falls Merkel auch hier nicht die absolute Mehrheit bekäme, würde in einem dritten Wahlgang die einfache Mehrheit reichen. Allerdings liegt es dann in der Hand des Bundespräsidenten, ob er die Wahl akzeptiert oder den Bundestag auflöst und Neuwahlen ansetzt. An dieses Szenario mag allerdings niemand in Berlin denken.

Wohl am wenigsten die Kanzlerin selbst. Angela Merkel empfängt am Donnerstag EU-Ratspräsident Donald Tusk. Und verliert zumindest öffentlich kein Wort über die harsche Kritik aus den eigenen Reihen. Auch das ist der Teil der Methode Merkels.

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