Wollen dieBürgerInnen den "starken Staat" ?

28. Dezember 2017

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Autoritäre Wende

Leitartikel Christoph Faisst zur Meinungsfreiheit


Mesale Tolu ist auf freiem Fuß. Ihr Kollege, der Journalist Deniz Yücel, wartet in Untersuchungshaft seit Monaten auf eine Anklage. Zwei Fälle, die 2017 die Schlagzeilen beherrscht haben, doch sie sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ zählt weltweit 326 Medienschaffende, die wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen, gut 40 von ihnen in der Türkei. In vielen Staaten sieht es kaum besser aus. Um ins Visier zu geraten, genügt es, über eine Protestbewegung zu berichten, mit Informanten zu kommunizieren, oder, wie im Fall der im EU-Mitglied Malta ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia, korrupten Machenschaften auf der Spur zu sein.


Journalisten werden in der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen, auch weil ihre Arbeit unter dem Begriff der Pressefreiheit zumindest in westlichen Systemen hoher Wert zuerkannt wird. Doch der Druck steigt in allen Berufen, deren Angehörige im Idealfall für Transparenz und eine objektive Sicht der Dinge stehen: Richter, Journalisten und Wissenschaftler. In einer zunehmend von Ideologie und Machtkalkül dominierten Welt sind ihre Einschätzungen und Erkenntnisse jenen im Weg, die die Gesellschaft umstrukturieren wollen: Der Strippenzieher der polnischen Politik, Jaroslaw Kaczynski, lässt das Verfassungsgericht entmachten; Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolgt die Berichterstattung über eine linke Veranstaltung als Terrorpropaganda; US-Präsident Donald Trump stellt die eigenen Umweltschutzbehörden kalt, weil deren Daten zum Klimawandel seine Energiepolitik bremsen. Sie alle pflegen die Pose des Autokraten, der störende Elemente mundtot macht.


Dabei sind diese starken Männer keine Diktatoren, die ihr Volk mit eiserner Hand regieren wie Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un. Sie können sich vielmehr der Zustimmung großer Teile der Bevölkerung gewiss sein – vor allem, wenn sie ihr Programm mit der Nähe zu religiösen Institutionen legitimieren, wie es Kaczynski, Erdo gan oder Russlands Präsident Wladimir Putin gerne tun.


Autoritäres Denken ist – so es denn nach 1968 überhaupt verschwunden war – längst wieder Allgemeingut. Der Ausbau des Arsenals staatlicher Repression wird eher als Schutz denn als Bedrohung liberaler Bürgerrechte wahrgenommen. Die Idee des „Feindes im Inneren“ ist fast 90 Jahre nach den Publikationen des rechten deutschen Staatstheoretikers Carl Schmitt, dessen Gedankengut bruchlos Eingang in die NS-Ideologie fand, salonfähig. Donald Trumps Wortwahl ist bezeichnend, wenn er Medienschaffende „Feinde des amerikanischen Volkes“ und „unterste Gattung Mensch“ nennt.


Die Erfahrung lehrt, dass die Massen nur zu bereit sind, sich bestens einzurichten, wenn sie es im Windschatten der Verfolgung kritischer Geister zu Konsum und Wohlstand bringen. Die Risikobereitschaft Einzelner wird erst gewürdigt, wenn sich Staatsorgane zu offener Willkür hinreißen lassen – die Erinnerung daran scheint vergessen.


leitartikel@swp.de

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