Wider das Vergessen! NS Wiederständler aus Söflingen!

26. Januar 2018

Lesen SIE bitte die SWP..

Drang nach Wahrheit und Gerechtigkeit

Widerstand In der KZ-Gedenkstätte wird morgen an die Söflinger Gruppe um Albrecht Vogt erinnert, die auf einer Remington-Schreib maschine Flugblätter gegen den „Hitler faschis mus“ geschrieben, diese vervielfältigt und verteilt hat. Vogt starb im Februar 1943 im

KZ Flossenbürg. Von Rudi Kübler


Hosch ghört, dr Albrecht hent se mitgnomma? – Verhaftet? – Ja, a Flugblatt hot er gschrieba. Kommunischd soll er sei.– Des wondert mi net, der hot ja au schdudiert, in London und in Paris, so hoißt’s. – Ond zwölf Sprachen soll er schwätza, hoißt’s au. – Ha, deswäga hot sei Mutter ja d’Nas emmer a bißle weit oba traga. – Aber domit isch’s jetzt au rom, dr feine Herr sitzt.


Söflingen, August 1935. Was hinter vorgehaltener Hand getuschelt oder auch offen ausgesprochen wird, lässt sich nur erahnen. Albrecht Vogt ist persona non grata. Die Familie wird geschnitten, ausgegrenzt, seine Nichte von einem Lehrer gepiesackt. Seiner Mutter schreibt er sechs Jahre später, sie solle den Freunden danken,


„dass sie mich nicht vergessen haben,


dass sie, wenn sie auch wohl einmal


den Kopf schütteln mussten über das,


was ihnen sich als unselige und


unbegreifliche Verirrung darstellte,


doch sich nicht von mir abgewendet


haben wie so viele andere“.


Wer war dieser Albrecht Vogt? Die Spurensuche begann vor drei Jahren mit einem Tiefschlag. Just, als sich der Ulmer Stolperstein-Mitinitiator Martin König nach einem Hinweis einen Grabstein auf dem Söflinger Friedhof anschauen wollte, war das Grab abgeräumt worden. Sollte Vogt ein Phantom bleiben? Nein, über einen Zufall kam König an ein Foto des Grabsteins: Albrecht Vogt, geboren 25.2.1890 – gestorben 27.4.1943 Konzentrationslager Flossenbürg. Warum Flossenbürg? Die dortige KZ-Gedenkstätte konnte diese Frage nicht beantworten, aber: Im Archiv des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg (DZOK) fand sich die Abschrift eines Urteils des 2. Strafsenats am Oberlandesgericht Stuttgart.


Vorbereitung zum Hochverrat


Demnach war Vogt am 22. September 1937 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden – und mit ihm Josef Stadelmann (sechs Jahre), Albert Scheffold (zwei Jahre und vier Monate) sowie Eugen Ruf (drei Monate). Wobei Stadelmann gar nicht im Gerichtssaal anwesend war, wie sich später bei den Recherchen herausstellen sollte. Ihm war zuvor die Flucht aus dem Polizeigefängnis gelungen; Erzählungen nach hatten sich Freunde Stadelmanns SS-Uniformen übergezogen und waren im Gefängnis vorstellig geworden mit dem Satz: Den Stadelmann, den nehmen wir jetzt mit. „Eine klassische Köpenickiade“, sagt DZOK-Archivar Josef Naßl, der mit König gemeinsam den „Fall Vogt“ recherchiert hat.


Weshalb die Männer vor Gericht standen, ist einem Satz auf der Abschrift zu entnehmen: „Das beschlagnahmte Papier sowie die Schreibmaschine ,Remington’ und der Vervielfältigungsapparat ,Primus II’ werden eingezogen.“ Es ging also um die Herstellung und Verbreitung von Flugblättern – und damit um Vorbereitung zum Hochverrat. Erste Nachforschungen Ende der 70er Jahre waren auf eine Mauer des Schweigens getroffen, „dies wohl auch aufgrund der gesellschaftlichen Isolierung der überlebenden Gruppenmitglieder, die lange als ,Verräter’ betrachtet wurden und sich im Klima der Nachkriegszeit von einer ,angeblichen kommunistischen Tätigkeit’ distanzierten“, schreiben König und Naßl in ihrem Artikel über die Söflinger Widerständler.


Was Helga Reulein, Tochter des Söflinger Gärtners Eugen Blessing, so bestätigt. Sie wusste zwar schon als Elf- oder Zwölfjährige, dass ihr Vater der Widerstandsgruppe um Vogt und Stadelmann angehörte. Aber außerhalb der Familie wurde das Thema nie angesprochen, wobei: „Meinen Vater hätte das auch nicht geschert, der ist seinen Weg gegangen“, sagt die heute 75-Jährige.


In der Gärtnerei Blessing hat die Gestapo im August 1935 den Vervielfältigungsapparat entdeckt, „das Gerät war dort verbuddelt“, erzählt Helga Reulein. Die Gruppe war denunziert worden, nachdem ein Flugblatt in der Firma Staiger & Deschler aufgetaucht war. Ein Flugblatt, das den Titel „Die Fackel. Kommunistisches Kampfblatt für Ulm“ trug, das Lenin- und Marx-Zitate beinhaltete und die Arbeiterschaft aufrief, „dem faschistischen Terror die gebührende Antwort auf eure Entrechtung und Versklavung“ zu geben.


Kommunisten waren die Männer aber wohl nicht, weder Stadelmann, noch Vogt, noch Blessing. Stadelmann war promovierter Philologe, Vogt entstammte einer gutsituierten Söflinger Brauereifamilie, er hatte in Paris, Straßburg, London und Berlin studiert und sprach ein Dutzend Sprachen. Und Blessing war Gärtner wider Willen. Auch er hatte in Berlin und München Sprachen studiert und nur aus Pflichtbewusstsein gegenüber der Familie den elterlichen Betrieb übernommen. Die Gruppe – ihr gehörten noch Eugen Sollich, Paul Renner und Hans Schirmer an – einte „wohl eher eine humanistische oder sozialistische Überzeugung, ein gewisser Nonkonformismus sowie die persönliche Freundschaft als ein Parteizusammenhang“, so Naßl und König.


Die Annäherung an Vogt gelang zum einen über rund 40 Briefe, die er seiner Mutter Theresia Vogt aus den Zuchthäusern Ludwigsburg, Garsten (Oberösterreich) und Gollnow (Polen) geschrieben und die die Familie aufbewahrt hat. Sie zeichnen das Bild eines Mannes, der zu seiner Tat stand:


„Habe ich nun A gesagt, so muss


ich auch B sagen und die Folgen


meiner Handlungsweise auf mich


nehmen, und Du als meine Mutter


kennst mich hinlänglich, um zu


wissen, dass ich für meine Gesinnung


und die daraus entspringenden Taten


auch einstehe ... Meine bisherige


Unbescholtenheit, mein Drang nach


Wahrheit und Gerechtigkeit, meine


Liebe zur Freiheit, mein Dürsten nach


Erkenntnis alles dessen, was zum


Frieden und Fortschritt der Mensch-


heit dient – all das kann mich so


wenig wie meine Führung als Front-


soldat vor dem Zugriff der Gesetze


schützen, die eine gegensätzliche


politische Denkweise und Betätigung


als Volksverrat, ja Hochverrat be-


kämpfen und ahnden. Lass also,


liebe Mutter, ab vom Jammern ...


Zugang zur Söflinger Widerstandsgruppe haben Naßl und König zudem über eine ganz andere Quelle erhalten: über die Spruchkammerakte von Eugen Blessing. In der Tat, die gibt es, und zwar im Staatsarchiv Ludwigsburg. Ob der Gärtnermeister NSDAP-Mitglied oder nur Anwärter auf eine Mitgliedschaft war, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Überliefert ist darin aber folgender Vorfall aus dem Frühjahr 1934: Als der Ortsgruppenleiter bei einem Schulungsabend unbedingten Gehorsam eingefordert habe, sei Blessing aufgestanden und habe erklärt, er kenne keinen „Kadavergehorsam“. Das war das Letzte, was die Ortsgruppe von Blessing hörte, nein, stimmt nicht ganz: Denn anschließend betrieb er aktiv seinen Parteiaustritt, „mit diesem Ungeist hatte mein Vater nichts am Hut“, sagt Helga Reulein.


Ein zweites Mal verurteilt


Im Prozess wegen Hochverrats Ende 1937 wurden Blessing, Sollich, Renner und Schirmer freigesprochen. Scheffold und Ruf sollten alsbald aus der Haft entlassen werden, die Untersuchungshaft wurde ihnen angerechnet. Sie alle verloren ihre Arbeit, waren gesellschaftlich geächtet. Stadelmann floh in die Schweiz, von dort nach Venezuela und in die USA. Und Vogt? Er wurde nach Verbüßung seiner Strafe ein zweites Mal wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Vom Zuchthaus Ludwigsburg kam er nach Garsten (Oberösterreich) und von dort nach Gollnow (Westpommern) – mit immer schlechter werdenden Haftbedingungen.


Am 27. Februar 1943 hat er die zweite Strafe abgesessen, seine Familie machte sich schon Hoffnungen auf eine Freilassung. Doch die Gestapo Stuttgart transportierte ihn ins KZ Flossenbürg, wo er genau zwei Monate später an einer Lungentuberkulose starb.


Quelle:
 
Publikation
SÜDWEST PRESSE, Ulm
Regionalausgabe
SÜDWEST PRESSE Ausgabe Ulm und Umgebung
Ausgabe
Nr.21
Datum
Freitag, den 26. Januar 2018
Seite
Nr.20
Deep-Link-Referenznummer
IRA-26

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