Touchscreen statt Eselsohren
Bildung Die digitale Revolution kommt in Deutschlands Schulen nur schleppend voran, es mangelt an Zeit und Geld. Die Verlage geben sich dennoch optimistisch. Von Rebecca Jacob
Schulbuch digital: Bildergalerien zu Kriegsfolgen, Reden berühmter Politiker im O-Ton, animierte Karten, die Langzeitentwicklungen zeigen – die Digitalisierung macht‘s möglich. Die Norm im Klassenzimmer ist das aber noch lange nicht – aus verschiedenen Gründen. Für die Schulbuchverlage zumindest ist klar: An ihnen liegt es nicht.
Laut Peter Schell von der Verlagsgruppe Westermann (Braunschweig) ist das Unternehmen auf die digitale Revolution gut vorbereitet: „Wir machen das ja nicht erst seit gestern, das steht bei uns seit über zehn Jahren auf der Tagesordnung.“ Damit widerspricht Schell einer kürzlich veröffentlichten Studie von Pricewaterhouse Coopers (PWC) aus Frankfurt. Der Wirtschaftsdienstleister sagt darin einen Boom im Geschäft mit digitalen Schulbüchern voraus und warnt Schulbuchverlage vor „dramatischen Einbrüchen“ im Geschäft mit gedruckten Medien, das bis jetzt noch 95 Prozent des Umsatzes ausmache. Doch auch Irina Groh, Pressesprecherin beim Cornelsen Verlag (Berlin) sieht das Unternehmen „gut gerüstet“, weist jedoch gleichzeitig auf den höheren Aufwand hin, den man für multimediale Inhalte wie Audio- und Video-Dateien betreiben muss: „Die Produktionszeiten sind länger, man muss Rechtefragen klären und Spezialisten für digitale Inhalte einstellen.“
Individualisierter Unterricht
Die Befragung von PWC bezieht sich ausschließlich auf E-Books, also Schulbücher, die als PDF-Dokumente auf Tablets oder Computern lesbar sind. Diese enthalten in der Regel keine Zusatzinhalte wie Videos oder Audiodateien. Die Herausforderung, da sind sich die Verlage einig, besteht jedoch darin, digitale Inhalte zu schaffen, die auf die Anforderungen verschiedener Schüler zugeschnitten werden können. „Das ist das Gebot der Stunde: Differenzierter Unterricht, in dem individuell auf jeden Schüler eingegangen wird“, sagt Groh.
Dafür hat der Cornelsen Verlag das „mBook“ im Sortiment, das auf der diesjährigen Bildungsmesse Didacta zum Schulbuch des Jahres in der Kategorie „Gesellschaft“ gekürt wurde. Entwickelt wurde das „multimediale Schulbuch“, zunächst für das Fach Geschichte, vom Institut für digitales Lernen im bayerischen Eichstätt. Im vergangenen Jahr verkaufte das Institut ihr Produkt an Cornelsen, der Verlag will das Konzept auf andere Fächer ausweiten. Die Vorteile liegen für Irina Groh auf der Hand: „Man kann Wissen anschaulicher vermitteln, interaktive Zusatzinhalte bieten und die Schüler damit besser motivieren.“
Felicitas Macgilchrist, Abteilungsleiterin am Georg-Eckert-Institut - Leibnizinstitut für Schulbuchforschung (Braunschweig), sieht das differenzierter: „Das kommt immer drauf an, was man möchte: Lange Texte etwa lesen Menschen lieber auf Papier, kurze Texte sind in elektronischer Form angenehmer. Möchte man, dass die Schüler verschiedene Medienkompetenzen entwickeln, machen Zusatzinhalte Sinn.“
Warum also kommen digitale Medien an deutschen Schulen bisher so wenig zum Einsatz?Die Verlage machen die mangelnde Ausbildung der Lehrer und fehlende finanzielle Mittel dafür verantwortlich. Dem kann Felicitas Macgilchrist nur teilweise zustimmen: An gut ausgestatteten deutschen Schulen im Ausland hätten die Lehrkräfte durchaus, multimediale Unterrichtskonzepte entwickelt. „Die Schulen brauchen mehr Hardware, also mehr Geld, und Zeit. Die Lehrer, die in ihrem Unterricht neue Konzepte ausprobieren wollen, müssen das bisher in ihrer Freizeit tun. Es sollte extra Stunden dafür geben.“ Im neuen Koalitionsvertrag ist die Rede von einer „Investitionsoffensive für Schulen“, die auch die Digitalisierung vorantreiben soll. Macgilchrist sieht das skeptisch: „Mal sehen, was sich da dann wirklich tut.