Es fehlen Lehrer.. in ganz Deutschland: Bayern steht noch "ganz gut" da!

10. März 2018

Lesen SIE dazu bitte die NUZ.

Und wo ist der Lehrer?
Bildung Allein an deutschen Grundschulen fehlen in den nächsten Jahren 35 000 Lehrer. Manche Bundesländer schicken Leute in die Klassen, die etwas ganz anderes gelernt haben. Wie in Bayern arbeitslose Pädagogen aus Gymnasium und Realschule helfen sollen

Von Sarah Ritschel

Augsburg Hannes Ringlstetter ist einer von Bayerns bekanntesten Kabarettisten. Er wollte mal Rockstar werden, sagt er von sich selbst. Und zuvor Lehrer. In Regensburg studierte er Deutsch und Geschichte. Nach der Zwischenprüfung stellte Ringlstetter fest: „Das ist nix für mich.“ Bis dann vor ein paar Jahren ein Brief in der Post lag. Das Kultusministerium machte ihm ein Angebot – ob er nicht „mobile Reserve“ sein wolle. So werden die Springer genannt, die an den Schulen aushelfen, wenn ein Lehrer länger ausfällt. Ganz kurz habe er schon überlegt, gesteht der Komiker gegenüber unserer Zeitung. „Dann war mir klar, dass das für alle Beteiligten keine gute Idee wäre“, sagt er lachend. Die Sache mit dem Brief hat der 47-Jährige kürzlich in seiner Show im Bayerischen Rundfunk erzählt. „Mobile Reserve, das ist überhaupt einer der schönsten Ausdrücke, die’s gibt.“ Sein Studiogast, die Kabarettistin Christine Eixenberger, sah es genauso: „Reserve, also wenn gar nix mehr geht.“

Damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Um dokumentieren zu können, was damals an den Schulen los war, liegt Ringlstetters Brief zu lange zurück. Doch auch jetzt greift das Ministerium wieder zu Notmaßnahmen, weil an Bayerns Grund- und Mittelschulen sonst kaum mehr was geht. Denn dort fehlen auf Dauer hunderte ausgebildete Lehrer. Eltern klagen darüber, dass sie ihre Kinder regelmäßig noch vor Mittag von der Schule abholen müssen, weil wieder einmal eine Stunde ausfällt. Sie fühlen sich überfordert, weil sie plötzlich zu Hause mit ihren Kindern den Stoff üben müssen, den der Lehrer nicht geschafft hat. Viele Eltern von Grundschülern bedauern, dass ihre Töchter und Söhne unter den Lehrern keine festen Bezugspersonen haben und sich ständig an neue Gesichter gewöhnen müssen.

Erst gestern hat die Bildungsgewerkschaft VBE eine Umfrage unter 1200 deutschen Schulleitern veröffentlicht. Jeder fünfte von ihnen gibt der Schulpolitik heute die Noten 5 oder 6. Den Lehrermangel bewerten 57 Prozent als ihr größtes Problem, weit vor der Inklusion und der Integration von Flüchtlingskindern.

In Bayern ruht nun alle Hoffnung auf Menschen wie Sebastian Pfund. In dunkler Hose und Jackett steht der Mann im Lehrerzimmer der Werner-von-Siemens-Mittelschule im Augsburger Stadtteil Hochzoll. Dass er einmal hier landen würde, hätte der 35-Jährige bis vor kurzem nicht gedacht – an der Schulart, von der man so viele „Horrorgeschichten“ hört. Pfund ist einer von 124 Gymnasial- und Realschullehrern in Schwaben, die sich für die Mittelschule „umschulen“ lassen. Bayernweit sind es 1300. Tausende ihrer Studienkollegen stehen auf der Straße oder suchen sich Jobs in anderen Bundesländern, weil sie an ihren Schulformen nicht gebraucht werden. Die „Nachqualifizierer“ müssen sich zwei Jahre lang bewähren und haben die Chance auf eine Beamtenstelle. Pädagogische Inhalte eignen sich die schulfremden Lehrer parallel zum Unterricht an.

An der Realschule hat Pfund, der die Fächer Deutsch und Englisch studierte, keine Stelle bekommen. An der Mittelschule hatte er von Beginn an seine eigene Klasse. Er unterrichtet Physik, Biologie, Geschichte, Erdkunde, Kunst und andere Fächer. Von vielen wusste er nur das, was er selbst in der Schule gelernt hat. „Wir nehmen zum Beispiel gerade Atome durch. Da musste ich mich vollkommen neu einlesen“, sagt der gebürtige Nürnberger. „Bis ich an einen erfahrenen Mittelschullehrer heranreichen kann, wird es seine Zeit dauern.“ Zum Glück hat Sebastian Pfund seine Betreuungslehrerin, die ihm jede Frage beantwortet.

Schulleiterin Birgit Plechinger in Senden (Kreis Neu-Ulm) wäre ebenso bereit, jeden zu unterstützen, der ihr aus der Misere hilft. Jetzt in der Grippesaison brütet sie täglich über den Stundentafeln für ihre 320 Schüler. „Im Moment ist es nicht möglich, den Unterricht sinnvoll aufrechtzuerhalten“, sagt sie. Wir müssen reihenweise Stunden ausfallen lassen.“ Jeden Tag hofft sie, dass sich kein neuer Kollege grippekrank meldet. Denn zum Halbjahr sind mehrere ihrer Lehrkräfte in Pension gegangen. Noch dazu seien einige Kollegen langfristig erkrankt. „Seit zwei Monaten sind wir um 13 Stunden pro Woche unterversorgt, weil niemand da ist, der sie halten könnte.“

Das trifft vor allem Schüler, die nicht so leicht lernen. Im Differenzierungsunterricht holen die Lehrer sie eigentlich aus der Klasse und arbeiten gezielt den Stoff nach. Wegen des Personalmangels hat Plechinger die Extra-Stunden bis auf Weiteres gestrichen. Sie ist nicht die Einzige. Ein weiterer Schulleiter aus der Region sagt nur zwei Worte: „Land unter.“ Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, das komme weiter oben nicht gut an.

Zum Halbjahr sind im Freistaat 440 Beamte in Pension gegangen, von den verbleibenden ist knapp ein Drittel älter als 55. Sie alle müssen auf lange Sicht ersetzt werden. Das ist das erste Problem. Dazu sind weibliche Lehrkräfte gerade an Grundschulen in der überwältigenden Mehrheit. Werden sie schwanger, verlassen sie oft innerhalb von ein paar Wochen die Schulen, um sich nicht mit Kinderkrankheiten anzustecken. Andere Kollegen sind auf Monate krankgeschrieben.

Wenn Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) im Gespräch mit unserer Zeitung sagt, dass „in Bayern alle Stellen besetzt“ sind, dann stimmt das zwar – aber eben nur, solange die Lehrer resistent gegen jede Form von Grippeviren und Burnout sind und nicht plötzlich vorhaben, eine Familie zu gründen. Denn die derzeit rund 2400 Springer, über deren Bezeichnung sich Kabarettist Ringlstetter so amüsiert, sind oft schon zum Schuljahresanfang an Schulen gebunden und entsprechend alles andere als mobil. „Wir werden die mobilen Reserven im Herbst wieder um 50 Stellen aufstocken“, verspricht Spaenle. „Aber egal, wie viele Lehrkräfte man bereitstellt – Unterrichtsausfall ist nie ganz vermeidbar. Gerade Extremlagen wie eine Grippewelle wird man bei 3000 Grund- und Mittelschulen nie ganz ausfüllen können.“

Dass die Wartelisten leer gefegt sind, liegt auch daran, dass heute 60 000 Kinder aus Flüchtlingsfamilien an Bayerns Schulen lernen. Knapp 2000 Pädagogen wurden allein für sie eingestellt. Das sei ein „historisches Sonderphänomen“ gewesen, sagt Spaenle. „Das wusste im Frühjahr 2015 noch niemand.“ Und die Geburtenraten steigen auch seit Jahren. Doch von den Universitäten kommen zu wenige neue Lehrer, um das aufzufangen. Stattdessen kehren pensionierte Lehrer aus ihrem Ruhestand zurück, Teilzeitkräfte stocken auf und Lehramtsstudenten mit dem ersten Staatsexamen, aber ohne fertige Praxis-Ausbildung, helfen aus. Gerüchteweise hört man auch von jungen Menschen mitten im Studium, die eben noch im Hörsaal saßen und plötzlich am Pult stehen.

Doch in anderen Bundesländern ist die Lage weit schlimmer als in Bayern. Einer Prognose der Bertelsmann-Stiftung zufolge fehlen allein an deutschen Grundschulen bis 2025 35 000 Lehrkräfte, sofern die Politik nicht gegensteuert. Schon heute arbeiten der VBE-Umfrage zufolge an jeder dritten Schule Quereinsteiger oft ohne pädagogische Erfahrung. In Bayern gibt es sie fast nur an Berufsschulen.

In Berlin stützt sich das Schulsystem auf solche Leute. Das Land findet kaum mehr ausgebildete Lehrer. Vor Jahren hat Berlin aufgehört, diese zu verbeamten. Das macht den Beruf nicht gerade attraktiver. 864 Quereinsteiger wurden einer Statistik der Kultusministerkonferenz zufolge 2016 in Berlin eingestellt – das ist ein Anteil von in etwa einem Drittel aller Neueinstellungen. Auch in Sachsen hat mehr als jeder dritte Lehrer etwas ganz anderes gelernt. Der Laborexperte, der im Klassenzimmer Naturwissenschaften vermittelt, der Koch im Heimat- und Sachunterricht, der Kunsthistoriker, der mit den Kindern malt. Ihre pädagogische Ausbildung absolvieren die Neu-Lehrer nebenbei. Bundesländer entlang der polnischen Grenze, allen voran Brandenburg, winken fertig ausgebildeten Lehrern aus dem Nachbarland mit Verträgen, um die Leerstellen in den Stundenplänen mit Inhalt zu füllen.

Der Augsburger Lehrer Sebastian Pfund musste sich zwar nicht in ein fremdes Land, aber eben in eine neue Schulform integrieren. Er sagt, bei ihm habe das gut funktioniert. „Zwei bis vier Wochen“ habe er gebraucht, bis er die „Mittelschul-Rolle“ verinnerlicht hatte. Das verdanke er vor allem seinen Kollegen. Eins will Pfund deshalb auch unbedingt in der Zeitung lesen: „Es ist einfach toll, wie sie mich unterstützen. Ohne Kollegen wird es schwierig.“ Gerade sind die langen Gänge an seiner neuen Wirkungsstätte leer. Die Kinder aus der Mittagsbetreuung, denen Pfund eben noch bei den Hausaufgaben geholfen hat, sind weg. Doch in eineinhalb Stunden ist Elternsprechtag. Die Schüler des 35-Jährigen kommen aus den unterschiedlichsten Familien. Pfund weiß viel über sie, sie erzählen ihm aus ihrer Freizeit und von ihren Problemen. Und auch wenn er sich manchmal das sprachliche Niveau der Realschule zurückwünscht: „Man bekommt hier an der Mittelschule viel mehr mit, wie die Kinder sich weiterentwickeln.“ Das gefällt ihm, deshalb würde er heute wieder die Mittelschule wählen, „absolut“.

Aber warum hat sich Kabarettist Hannes Ringlstetter damals eigentlich dagegen entschieden, Lehrer zu werden? „Sozialer Brennpunkt Lehrerzimmer“, sagt der gebürtige Münchner nur. Will heißen: Mit den anderen Lehrern hat er sich schwerer getan als mit den Schülern. Vielleicht, weil er sich heimlich ein bisschen mit ihnen solidarisierte? Sich selbst als Schüler jedenfalls beschreibt er so: „Stinkfaul, effektiv und in Sachen Naturwissenschaften in jeglicher Hinsicht talentbefreit.“

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