Dorfladen... wie kann man sie ausbauen? Wie ist der Stand..

02. Juli 2018

Lesen SIE dazu bitte die NUZ..

Der Kampf der Tante-Emma-Läden

Versorgung Die Dorfläden in der Region bangen um ihre Existenz. Neue Konzepte sollen die Lösung bringen. Während die einen Händler möglichst mobil sein wollen, locken die anderen mit Aktionen

Von Jonathan Mayer

Landkreis Leise brummt die Kühlanlage des weißen Verkaufswagens vor sich hin. Im kurzärmligen Hemd, dreiviertellanger Jeans und mit Sonnenbrille auf der Nase steht Harald Hutter neben dem Gefährt vor seinem Haus in Illerrieden und raucht eine Zigarette. Mit dem Glimmstängel im Mund rollt er das Kabel auf, das von der Wand zum Wagen führt und die Kühlung in der Nacht am Laufen hält. Es ist Donnerstag, 8.15 Uhr. In 45 Minuten eröffnet Hutter seinen Stand in Rennertshofen. Bis dahin liegen noch knapp 25 Minuten Autofahrt und 23 Kilometer Strecke vor ihm. Gemächlich macht er sich auf den Weg. Er wirkt nicht gehetzt. Schon am Abend hat er Filterkaffee, Gewürzpackungen und Nudeln wieder aufgefüllt. „Sonst ist man morgens so im Stress und vergisst noch was.“

Seit drei Jahren führt Hutter „Barni’s Lebensmittelservice“ und tingelt täglich mit seinem Dorfladen auf vier Rädern durch die Gemeinden der Region. Aus dem Wagen heraus verkauft er alles, was man zum Leben braucht. In der gekühlten Warenausgabe liegen unter anderem Wurst, Käse, Schokoriegel und Butter. Im Regal an der Wand reihen sich Chipstüten an Kosmetika, Küchenrollen und Kaffeedosen. Jeden Donnerstag ist Hutter im Landkreis Neu-Ulm unterwegs. Dann führt ihn seine Tour nach Rennertshofen, Christertshofen, Ritzisried, Nordholz, Dietershofen und Gannertshofen. Seit März fährt er die Strecke schon ab. Mit seinem fahrenden Dorfladen will Hutter die Orte versorgen, in denen es keine Geschäfte mehr gibt. „Viele alte Menschen können ja nicht mehr Auto fahren.“

In Rennertshofen angekommen stellt er seinen Wagen auf dem Parkplatz hinter dem Vereinsheim ab. Geduldig rollt er das Kabel für die Kühlanlage aus und schließt es am Gebäude an, wischt mit einem Tuch über die angelaufenen Scheiben des Kühlfachs und lehnt sich schließlich an sein Mobil. Jetzt heißt es: Warten. Auf den Straßen des 160-Seelen-Dorfes sind kaum Menschen unterwegs. „Viele kommen hier nicht“, sagt Hutter. „Bei meinen Touren in Baden-Württemberg ist das besser.“ Anfangs hätten in Rennertshofen noch knapp zehn Kunden regelmäßig eingekauft, am heutigen Tag sind es null. „Ich habe Flyer verteilt und am Schwarzen Brett einen Zettel aufgehängt. Trotzdem bleiben die Kunden aus.“ Erklären kann er sich das nicht. „Wahrscheinlich liegt das an den großen Discountern.“

Tatsächlich haben viele Betreiber von Tante-Emma-Läden in der Region zu kämpfen. Erst Ende April musste ein Geschäft in Unterroth aus Personalmangel schließen. Übernommen hat den Betrieb daraufhin ein Großunternehmer aus Ulm. Offizielle Zahlen, wie viele Dorfläden es im Landkreis noch gibt, liegen nicht vor. Weder das Landratsamt in Neu-Ulm noch das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten oder das Amt für ländliche Entwicklung in Krumbach haben Informationen. Lediglich eines ist zu erfahren: Um dem Dorfladensterben entgegenzuwirken, gibt es Förderungen im Rahmen der Dorferneuerung. Im Landkreis steht derzeit aber keine an, heißt es vonseiten der Behörde.

In Jedesheim gibt es in der Ortsmitte einen kleinen Dorfladen. Dort versteht man sich als wichtigen Teil des gemeinschaftlichen Lebens. „Sonst wäre gar keine Bewegung mehr im Ort, nur noch die Schulkinder morgens und am Sonntag die Leute, die in die Kirche gehen“, sagt Verkaufsleiterin Helga Hörmann. Sie sitzt an der einzigen Kasse und zieht die Waren über den Scanner. Hörmann kennt fast jeden der täglich knapp 160 Kunden beim Namen. „Ich komme ja schließlich von hier, da kennt man die meisten.“

Das Geschäft ist genossenschaftlich organisiert. Einige Bewohner haben zusammengelegt und den Laden vor 17 Jahren eingerichtet. Vom erwirtschafteten Gewinn bekommen die Gesellschafter dann einen Anteil. Nach ein paar Jahren sollte die investierte Summe wieder drin sein. „Bis heute ist das aber noch nicht passiert“, sagt Hörmann. Sie kämen zwar über die Runden, viel übrig bleibe aber nicht. „Es gibt eben doch sehr viele, die lieber im Supermarkt einkaufen.“ Auch andere Dorfläden haben mit der Konkurrenz der Discounter zu kämpfen. Dana Neuhäusler, die in Tiefenbach ein kleines Geschäft mit dem Namen „Um’s Eck“ betreibt, sagt: „Wir können mit ihren Preisen einfach nicht mithalten.“ Viele Menschen würden lieber die vier Kilometer nach Illertissen fahren, um dort in einem der Supermärkte einzukaufen. Manuela Sauter, eine der Geschäftsführerinnen des Kellmünzer Dorfladens, berichtet von ähnlichen Sorgen: „Die großen Supermärkte zahlen bei ihren Angeboten drauf, locken damit aber Kunden in den Laden. Wir können uns so eine Strategie nicht leisten.“ Sauter sagt: „Es ist ein täglicher Existenzkampf.“

Die traditionellen Dorfläden versuchen, ihre Kunden an sich zu binden: In Tiefenbach, Kellmünz und Jedesheim setzt man auf regionale Produkte. Helga Hörmann hat für den Laden in Jedesheim sogar eigene Kreationen entwickelt. Sie nennt es den „Illertisser Korb“. Darin befinden sich nur Produkte aus der Region: Schokopralinen, Eier, Wurst, Honig. „Der kommt recht gut an. Regionales mögen die Leute“, sagt sie. Die Verkäuferin findet: „Produkte aus der Region machen Dorfläden aus.“ Doch selbst dieses Markenzeichen ist in Gefahr. Denn auch Supermarktketten setzen seit einigen Jahren auf Regionalität.

Die Schuld nur den Supermärkten zu geben, wäre jedoch falsch, findet Harald Hutter. Er steht wieder vor seinem Wagen, hat sich abermals eine Zigarette angesteckt. „Dass viele Dorfläden kaputtgehen, daran sind auch ein bisschen die Kunden schuld.“ Schließlich seien sie es, die lieber im Internet oder im Supermarkt einkaufen und wenn überhaupt nur noch in einen Dorfladen gehen, wenn sie beim Wocheneinkauf im Discounter etwas vergessen haben. Er geht hinter sein Mobil, rollt wieder einmal geduldig das Kabel der Kühlung auf und klappt die Abdeckung

 

Bei den Dorfläden sind Kunden gefragt

Kommentar

Von Jonathan Mayer

redaktion@nuz.de

Viele Dorfladenbetreiber haben es schwer, und das seit Jahren. In ganz Bayern machen die kleinen Geschäfte dicht. Für viele, vor allem privat organisierte Händler, rechnet sich das Aufrechterhalten des Geschäfts nicht mehr, weil zu wenige Kunden im Laden einkaufen. Diesem Problem sehen sich auch die Läden in der Region gegenübergestellt. Zwar schreiben nach eigenen Angaben die meisten davon noch schwarze Zahlen. Doch alle sehen sich dem Konkurrenzdruck, der von den großen Discounterketten ausgeht, ausgesetzt. Alle sind – zumindest ab und zu – von Existenzängsten geplagt.

Doch die Schuld bei den Discounterketten zu suchen, wäre falsch. Vielmehr sind die Kunden gefragt. Denn es ist deren bewusste Entscheidung, den Dorfladen um die Ecke zu meiden und dafür viele Kilometer in eine größere Stadt zu fahren, um bei Netto und Co. den Wocheneinkauf zu erledigen. Und das, obwohl die Tante-Emma-Läden, abgesehen von ihrer geografischen Nähe, noch viele weitere Vorteile bieten. Denn im eigenen Dorf kennen die Kunden die Verkäufer und die Verkäufer die Kunden. Das schafft gegenseitiges Vertrauen.

Zudem setzen die Dorfläden auf regionale Produkte: Harald Hutter beispielsweise bezieht Fleisch und Käse für sein Mobil von regionalen Anbietern. Und Helga Hörmann treibt das vielleicht sogar auf die Spitze, wenn sie mit dem „Illertisser Korb“ ein Sammelsurium aus Lebensmitteln aus der Vöhlinstadt zusammenstellt. Deshalb sollten sich die Kunden genau überlegen, wo sie einkaufen. Direkt im Dorf, wo sie die örtliche Wirtschaft unterstützen, regional einkaufen und zum Dorfleben beitragen oder in einem beliebigen Supermarkt.

Denn, wenn die Dorfläden sterben, stirbt auch das Leben in der Gemeinde. Und dann sind auf den Straßen wirklich nur noch Schulkinder und Kirchengänger unterwegs.

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