„Sind wir zu dumm, darüber zu entscheiden?“
Kreisfreiheit 200 Besucher bei Info-Veranstaltung: Bürger in Ludwigsfeld wollen abstimmen. Der OB widerspricht.
Neu-Ulm. Man spürt es deutlich: Das Thema ist ihm wichtig. Ohne Punkt und Komma hält der gelernte Rechtsanwalt und Neu-Ulmer OB in der Ludwigsfelder Gemeinschaftshalle am Donnerstagabend ein für seine Verhältnisse schon leidenschaftliches 75-minütiges Plädoyer für die Kreisfreiheit. Gerold Noerenberg steht vor 200 interessierten Ludwigsfeldern, spricht völlig frei. Er hebt und senkt die Stimme, er gestikuliert, er erklärt ausgiebig, warum es für die Stadt von Bedeutung ist, sich vom Landkreis scheiden zu lassen. Weil die Stadt alle wesentlichen Voraussetzungen erfüllt. Weil sie schon jetzt über 60 000 Einwohner zählt, weil sie potent ist, ihre Geschicke allein zu lenken. Weil der Landkreis, wie der Landrat betont habe, alleine leistungsfähig ist.
Den Begriff „Nuxit“ hält Noerenberg für ziemlich dämlich. Weil er mit dem Brexit, also dem Ausstieg von Großbritannien aus der EU, nicht zu vergleichen sei. Noerenberg wählt ein anderes Bild: „Die Tochter Neu-Ulm ist erwachsen geworden. Sie verhandelt mit den Eltern, wann sie ausziehen kann, was sie von zu Hause mitnehmen darf.“
Dann, nach eineinviertel Stunden, sind die Bürger dran. Und sie diskutieren kritisch gut eine Stunde mit dem OB. Die Ludwigsfelder sind am Thema interessiert. Und sie sprechen das an, was der OB ausgelassen hat. Beispielweise, wie es mit den Krankenhäusern weiter geht. Darüber hat Noerenberg in seiner Rede tatsächlich kein Wort verloren. Beim von Christoph Richtmann, Arzt und Ehemann von FWG-Stadträtin Christa Richtmann, gegebenen Stichwort Krankenhäuser kommt der OB leicht ins Schwimmen: Das sei ein Thema des Landkreises, der diesbezüglich erst noch seine „Hausaufgaben“ machen müsse, also entscheiden, ob und wie es mit drei Kliniken weiter gehe. Und: Krankenhäuser müsse man zudem regional sehen.
Glaubt man den Stimmen, die sich zu Wort melden, dann wollen sie in dieser wichtigen Angelegenheit nicht nur informiert werden, sondern mitsprechen. Gleich mehrfach wird der Bürgerentscheid angesprochen. Der OB äußert dafür zwar Verständnis, aber: Bei diesem „hochkomplexen Thema“ hat Noerenberg seine Zweifel, ob ein Bürgerentscheid richtig sei. „Wir hören sehr wohl, was Sie zu sagen haben.“ Das gefällt einem Anwesenden überhaupt nicht: „Sind wir zu dumm, darüber zu entscheiden?“, fragt er nach. Der OB hält dagegen: „Das habe ich nicht gesagt, aber ich habe meine Zweifel, ob jeder Bescheid weiß.“
Und der OB sorgt sich um die Beteiligung an dieser Abstimmung, erinnert an die vergangene Kommunalwahl, bei der Neu-Ulm bayernweit die niedrigste Wahlbeteiligung gehabt habe. Dann lenkt Noerenberg etwas ein: Ob es einen Bürgerentscheid gibt, entscheide nicht er. „Wenn es genügend Unterschriften dafür gibt, dann gehe ich damit um.“ Wie? Das sagt er nicht.
Ob die Stadt Neu-Ulm den hohen Standard der weiterführenden Schulen halten könne, will einer wissen. Natürlich, antwortet ihm der OB. Die Stadt habe die Zahlen des Landkreises eins zu eins übernommen. Was mit dem alten Landratsamtsgebäude geschehe, will ein anderer wissen. Über den Sitz des Landkreises würden der Kreis selbst und der Freistaat entscheiden. Was das Gebäude betrifft, will Noerenberg fair mit dem Landkreis verhandeln. „Wir haben aber nicht vergessen, dass wir das Grundstück damals zum Bau zu verbilligten Preisen abgegeben haben.“
Noerenberg spricht oft von der Verantwortung, die er und der Stadtrat bei Thema Kreisfreiheit hätten. „Sie haben die Verantwortung“, entgegnet ihm einer, „aber können Sie auch zur Verantwortung gezogen werden?“ Nein, sagt Norenberg, „ich wandere deshalb nicht in den Knast. Aber ich habe den Ehrgeiz, dass es klappt.“
⇥Edwin Ruschitzka
Info Nächste Infoveranstaltung zur Kreisfreiheit: Donnerstag, 28. September, 19.30 Uhr in der Seehalle in Pfuhl.