Neu-Ulmer Geschichtsbibliothek muss erhalten bleiben
06. September 2014
Lesen Sie bitte die SWP
Die FDP unterstützt Frau Wanke und fordert den Erhalt und die Aufarbeitung dieser Dokuente....
Neu-Ulmer Geschichtsbibliothek kämpft mit Platznot
Die Neu-Ulmer Geschichtsbibliothek ist etwas für Eingeweihte, aufgebaut und betrieben im Wesentlichen von einem Mann: Horst Gaiser. Damit sie eine Zukunft hat, braucht sie nicht nur neue Räume. Mit einem Kommentar von Chirin Kolb.
Die Wände sind massiv, zum Glück. Sie verhindern, dass die Neu-Ulmer Geschichtsbibliothek aus allen Nähten platzt. In den Räumen im Hof hinter der Stadtbibliothek reichen Reihen prall gefüllter Bücherregale bis zur Decke, türmen sich überall Stapel mit Büchern, Schriften, Broschüren. Wie viele Werke es insgesamt sind, kann Horst Gaiser nur schätzen: 65.000.
Auch wenn höchstens ein Drittel davon katalogisiert ist, weiß Horst Gaiser ganz genau, was alles in der Geschichtsbibliothek steht - und sogar: wo es steht. Seit 60 Jahren betreut der Rechtsanwalt ehrenamtlich die Geschichtsbibliothek, man kann sagen: Sie ist sein Lebenswerk.
Gaiser sammelt alles, was im näheren und weiteren Sinn mit der Geschichte Neu-Ulms, Schwabens, Süddeutschlands zu tun hat. Keines der Werke sei überflüssig, meint Gaiser. "Ein Thema geht ins andere über. Ich kann nichts herauslösen, ohne eine Lücke zu reißen."
Grob umrissen umfasst die Geschichtsbibliothek: allgemeine Landeskunde zum süddeutschen Sprachraum, alle denkbaren Lexika und Wörterbücher, Kirchengeschichte, Urkundenbücher aus dem süddeutschen Raum, biographisch-familiengeschichtliche Materialien und Adelsbücher, Kunstgeschichte, landesgeschichtliche Zeitschriftenreihen, ortsgeschichtliche Literatur von A wie Aalen bis Z wie Zwiefalten. Alles zusammengetragen über Jahrzehnte hinweg aus Nachlässen, Schenkungen, Verkäufen von Bibliotheken, Antiquariaten und Privatleuten.
Alles fing 1954 an. Heimatforscher fanden sich zusammen und gründeten den "Verband für Kreisbeschreibungen", einen Verein, der noch heute als Träger hinter der Geschichtsbibliothek steht. Allerdings gehören ihm nur noch eine Handvoll Mitglieder an. Und so blieben nur zwei Männer übrig, die die Bibliothek betreiben: Anton Aubele, pensionierter Oberstudienrat, und eben Horst Gaiser.
Die beiden sorgen dafür, dass die Bibliothek jeden zweiten und vierten Donnerstagnachmittag eines Monats für jeden zugänglich ist, jeden dritten Donnerstagabend zusätzlich für Familienforscher. Die Geschichtsbibliothek ist eine Präsenzbibliothek, das heißt: Die Nutzer können keines der Werke ausleihen, sondern nur einsehen. Gaiser und Aubele suchen aus den Regalen zusammen, was die Nutzer brauchen und helfen ihnen bei der Recherche. Die Geschichtsbibliothek besuchen Schüler, Studenten, Historiker, Heimat- und Familienforscher, sagt Aubele. "Mal kommen an einem Nachmittag zehn Leute, mal kommt niemand."
Peter Freitag ist ein häufiger Gast. Er wollte mehr wissen über seine sudetendeutschen Wurzeln und stieß über andere Hobby-Historiker auf die Neu-Ulmer Geschichtsbibliothek. "Ich habe hier Sachen gefunden, die ich schon lange gesucht habe." Gaiser half ihm nicht nur bei der Suche, "er konnte selbst das schlimmste Sütterlin-Gekraxel lesen", erzählt Freitag. "Ich bin ihm unendlich dankbar." Inzwischen kann Freitag seine Familie bis ins Jahr 1568 nachweisen.
Gaiser war der Mann der ersten Stunde, er hat die Bibliothek aufgebaut. "Bei der Gründung des Vereins war ich mit 25 Jahren der Jüngste", erzählt er. "Die anderen haben gesagt: Der Jüngste soll das machen." Mittlerweile ist der Neu-Ulmer 85. Sicher, er ist noch fit, betreibt sogar noch seine Kanzlei. Allerdings ist auch ihm klar: Eine Lösung für die Zukunft muss her.
Bislang hängt die Geschichtsbibliothek im Wesentlichen an ihm. Er kennt die Bestände, er weiß die Systematik, die hinter den Regalen steckt. Schriftlich festgehalten, elektronisch erfasst ist aber nur wenig. Vor ein paar Jahren gab es mal eine ABM-Stelle zur EDV-mäßigen Erfassung der Bestände. Als die Stelle auslief, endete auch die Erfassung. Gaiser und Aubele kommen dazu nicht, sie sind vollauf beschäftigt damit, die Bibliothek am Laufen zu halten, die Öffnungszeiten sicherzustellen, Nutzer zu betreuen.
Die mangelhafte Erfassung der Bestände ist aber nur das eine Problem. Das andere: Die Räume in der Maximilianstraße 39, wo die Bibliothek nach einigen Umzügen untergekommen ist, sind längst viel zu klein für die Fülle von Materialien, Zeitschriften und Büchern. "Die Bestände müssen katalogisiert werden, die akute Raumnot muss behoben werden", forderte deshalb Stadträtin Christa Wanke (CSU), die sich mit ihren Parteikollegen Wolf-Dieter Freyberger und Ursula Schnirch seit geraumer Zeit für die Neu-Ulmer Geschichtsbibliothek einsetzt, in der jüngsten Sitzung des zuständigen Ausschusses. Wanke hat auch schon ein Ausweichquartier im Blick: die Räume, die im LEW-Gebäude am Heiner-Metzger-Platz seit dem Auszug des Amtsgerichts leer stehen. Sie liegen über der Stadtbücherei.
Durchaus übergangsweise eine Möglichkeit, die man bedenken kann, sagt der städtische Fachbereichsleiter Ralph Seiffert. Eine Dauerlösung wäre das aber nicht, denn das Gebäude soll mittelfristig abgerissen werden. Die Stadtverwaltung werde sich, wie vom Ausschuss beschlossen, Gedanken machen, wie es mit der Geschichtsbibliothek weitergehen könnte. Seiffert ist zuversichtlich: "Wir sind in intensivem Kontakt. Wir wachsen zusammen, immer mehr."
Die Stadtverwaltung hatte sich jedoch lange nicht zuständig und schon gar nicht in der Pflicht gesehen. "Die Geschichtsbibliothek ist keine Einrichtung der Stadt", machte Oberbürgermeister Gerold Noerenberg erst kürzlich in der Sitzung klar.
Allerdings sind die finanziellen Verflechtungen zwischen der Stadt und der Bibliothek ebenso undurchsichtig wie für Außenstehende deren Bestände. Zum Beispiel: Etliche Bände wurden mit insgesamt fünfstelligen Zuschüssen der Stadt beschafft, die Stadt ließ die Regale anfertigen, in denen die Bücher stehen, der Stadt gehören die Räume, die die Geschichtsbibliothek derzeit belegt.
Nutzer wie Peter Freitag hoffen darauf, dass für die Geschichtsbibliothek eine Lösung gefunden wird. "Da ist ein so unglaubliches Wissen vorhanden", sagt er, "das darf nicht verloren gehen".
Ein Kommentar von Chirin Kolb
Lösung für die Zukunft nötig. Was Horst Gaiser in 60 Jahren angesammelt hat, verschlägt einem angesichts der Bücherstapel und überquellenden Regale fast den Atem. Die geschätzt 65.000 Bücher, Zeitschriften und Materialien der Neu-Ulmer Geschichtsbibliothek dürften ihresgleichen suchen. Nun wird es höchste Zeit, dass die Bestände systematisch erfasst, katalogisiert und geordnet werden. Das kann sinnvoll nur geschehen, wenn die Bibliothek neue Räume bekommt, die sie ohnehin wegen der Enge der jetzigen nötig hat. Nur durch einen Umzug kann Ordnung reingebracht werden, elektronisch ebenso wie buchstäblich. Daran muss auch Gaiser und dem Trägerverein gelegen sein.
Gewiss, die Geschichtsbibliothek ist eine private Einrichtung, keine städtische. Doch die Verflechtungen sind vielfältig, in der Bibliothek steckt so viel öffentliches Geld, dass die Stadt sich nicht aus der Verantwortung ziehen kann. Ganz abgesehen davon, dass es im öffentlichen Interesse ist, Geschichte zu bewahren und zugänglich zu machen.
Es wäre eine gute Lösung, vorübergehend die ohnehin leerstehenden Räume über der Stadtbücherei im LEW-Gebäude mit der Geschichtsbibliothek zu belegen. Beim Umzug müsste der Bestand gesichtet und auch gestrafft werden. Es wäre Zeit gewonnen, um über eine Dauerlösung nachzudenken. Charmant wäre auch im Blick auf Synergien, wenn es nach dem Abriss des LEW-Gebäudes dann im Neubau gelänge, alles unter einem Dach zu vereinen: Stadtbücherei, Geschichtsbibliothek und Stadtarchiv.