Die Stadt Neu-Ulm will den Landkreis verlassen
Raus aus dem Landkreis Neu-Ulm! Das scheint das Zukunftsziel der Großen Kreisstadt Neu-Ulm zu sein. Zumindest CSU und SPD wollen dies ernsthaft in Erwägung ziehen, wie deren Fraktionsvorsitzende Johannes Stingl und Antje Esser unisono und unmissverständlich erklärt haben. Hintergrund sind strategische Überlegungen, wie die Stadt in der Zukunft aufgestellt sein will. Aber auch die kreispolitischen Geschehnisse der vergangenen Zeit spielen eine große Rolle.
Der einzige Tagesordnungspunkt auf der Sitzung des Neu-Ulmer Stadtrats war am Mittwochnachmittag eher Routine: Der diplomierte Statistiker Christian Rindsfüßer trug die von seinem Institut für Sozialplanung, Jugend- und Altenhilfe, Gesundheitsforschung und Statistik ermittelten Zahlen vor. Neu-Ulm wird weiter wachsen und im Jahr 2020 die Grenze von 60.000 Einwohnern überschreiten.
Womöglich ist sie jetzt schon überschritten, zählt man die Personen mit Zweitwohnsitz in Neu-Ulm dazu. Zwischen 2028 und 2032 werden es über 65 000 sein, im Jahr 2036 sogar knapp 67 000. Die Zahl der Geburten steigt, die der Zuzüge auch. Und die Menschen werden immer älter. Große Herausforderungen für die kreisangehörige Stadt Neu-Ulm, was den Wohnungsbau, Kitas, Schulen bis hin zu barrierefreien Räumen und Senioreneinrichtungen betrifft. Darin waren sich alle im Stadtrat einig.
Viele Wortmeldungen
Natürlich hatten alle Fraktionen im Ratssaal großen Redebedarf, wie die vielen Wortmeldungen zeigten. Fast beiläufig ließ der CSU-Fraktionsvorsitzende Johannes Stingl einen Satz fallen: „Wir müssen die Kreisfreiheit der Großen Kreisstadt Neu-Ulm im Landkreis überprüfen.“ Und auch die SPD-Fraktionschefin Antje Esser befand: „Für uns gehört es dazu, über die Kreisfreiheit nachzudenken.“ Als dann noch OB Gerold Noerenberg diese Aussagen mit den Worten absegnete, dass „solche Diskussionen jederzeit denkbar und zulässig sind“, war klar, dass es sich nicht um beiläufige, sondern um wohlüberlegte Äußerungen handelte.
Stingl und Esser legten am Donnerstag auf Anfrage nach: „Wir werden die Karte der Kreisfreizeit ziehen.“ Für Stingl sind strategische Überlegungen ausschlaggebend, aber auch kreispolitische Vorkommnisse. Er nannte die Unterbringung von Flüchtlingen. Neu-Ulm sei von vielen Umlandgemeinden und -städten weitgehend alleine gelassen worden. Und er sprach auch den Bürgerentscheid zum Erhalt der Geburtshilfe in der Illertalklinik in Illertissen an. Das sei eine Entscheidung, die Neu-Ulm finanziell belaste und auch das Fortbestehen der Donauklinik in Neu-Ulm gefährde.
Antje Esser wurde noch deutlicher: Die Stadt Neu-Ulm und der Landkreis würden sich auseinanderentwickeln. „Bei vielen Dingen fühlen wir uns vom Landkreis allein gelassen. Dabei stellen wir ein Drittel der Landkreisbevölkerung und finanzieren über die Kreisumlage 40 Prozent des Kreishaushalts.“ Nicht die Stadt Neu-Ulm kündige mit dem Ansinnen, kreisfrei zu werden, die Solidarität mit dem Landkreis auf. Es sei eher umgekehrt.
Esser machte das Problem auch am 2014 erstmals gewählten Landrat Thorsten Freudenberger fest, der mit seiner Politik die Spaltung des Landkreises befördere, „und das nur, weil er auf die Wählerstimmen im Süden aus ist“. Das Vertrauen in ihn und seine Fähigkeit, den Landkreis zusammenzuhalten, sei erschöpft, „bei uns in der SPD und noch mehr in der CSU“.
Hoch hängen will OB Gerold Noerenberg die im Stadtrat zu hörenden Aussagen nicht. „Ich habe noch keinen Antrag auf dem Tisch.“ Die Kreisfreizeit nur an der Einwohnerzahl festzumachen, „ist für mich zu kurz gesprungen, da kommt viel mehr zusammen“. Ärgerlich seien die Stimmen aus dem südlichen Landkreis, die Neu-Ulm quasi zur Kreisfreiheit auffordern würden. „Wenn der Landkreis die besondere Bedeutung der Stadt Neu-Ulm sieht und akzeptiert, gibt es keine Veranlassung, die Kreisfreiheit zu betreiben.“
Landrat nicht überrascht
Den im Urlaub weilenden Landrat Thorsten Freudenberger hat die Diskussion im Neu-Ulmer Stadtrat wenig überrascht. Das Ganze sei schon seit Monaten ein Thema, „und ich sehe es relativ gelassen“. Seit der Einkreisung der einst kreisfreien Stadt Neu-Ulm im Jahr 1972 habe der Landkreis 44 Jahre erfolgreich gearbeitet. Formal erfülle die Stadt Neu-Ulm die Voraussetzungen, kreisfrei werden zu können. Es helfe nicht weiter, Drohkulissen aufzubauen. „Die Stadt soll mutig sein, das Thema auf die Tagesordnung setzen, diskutieren, die Vor- und Nachteile abwägen und dann entscheiden.“ Das letzte Wort werde ohnehin in München gesprochen, von der Staatsregierung und vom Landtag (siehe Auszug aus der Gemeindeordnung).
Den Bürgerentscheidung zur Geburtshilfe in Illertissen habe nicht er zu verantworten, wehrte sich Freudenberger. „Das muss man in einer Demokratie eben auch akzeptieren.“ Sollte es Neu-Ulm mit der Kreisfreizeit ernst meinen, „werde ich das bedauern, aber auch akzeptieren. Und dann arbeite ich halt für einen kleineren Landkreis mit einem guten Verhältnis zur Stadt Neu-Ulm“.